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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2005 — 2006

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
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2. Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.67593#0258
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Das WIN-Kolleg | 271

ma der erneuerten Totalität in die schillernde Aura des zugleich Einmaligen und
Ewigen, der Entscheidung und des Mythos zugleich.
Optimistischer dagegen war die Komparatistin Cornelia Blasberg in ihrem
Vortrag zur transnationalen Kommunikation und Programmatik der deutschen Sym-
bolisten im Umfeld Stefan Georges. Auch hier ging es darum, allzu vertraute Ein-
schätzungen zu unterlaufen und den nationalhistorisch verengten Blick auf den
ästhetischen Fundamentalismus des George-Kreises internationalistisch zu erweitern.
Blasberg bestritt nicht, dass es klarere und tragfähigere Initiativen zugunsten einer
programmatischen Europäisierung der intellektuellen Kommunikation gegeben
habe als von Seiten ausgerechnet derjenigen, die zugleich ein geheimes Deutschland
formierten. Doch sie konnte zeigen, dass die praktischen Austauschprozesse zwischen
symbolistischen Literaten von Beginn an europäisch ausgerichtet waren und sich nur
bedingt nationalisieren ließen, um in der spätesten Phase nach Georges Tod auch
programmatisch transnational zu werden.
Wie schwierig und verwickelt diese Intellektuellenkommunikation in einem
weiteren Rahmen nach den beiden Katastrophen des europäischen 20. Jahrhunderts
jedoch ist, zeigte Ulrich Bielefeld in seinem Beitrag „Schuld und Kollektivität“. Der
Hamburger Soziologe nahm sich des Themas der (deutschen und europäischen)
Selbstthematisierung über die Frage nach der Schuld und dem „Sprechen über die
Schuld“ an. Dabei spannte er einen großen Bogen von den jüngsten Übungen natio-
naler Nabelschau (Jörg Friedrich, Der Brand) zu einem der ersten Erfolgsromane
Nachkriegsdeutschlands und zeigte die Ambivalenz auf, die das deutsche, kollektive
Reden von der Schuld seit Auschwitz kennzeichnete. Dabei ist der sich entwickeln-
de Diskurs einerseits durch die entstehende Europäische Gemeinschaft beeinflusst.
Die Zusammenarbeit in europäischen Strukturen benötigte eine gewisse Distanzie-
rung vom nationalen Basisnarrativ. Andererseits war es auch die Art und Weise, wie
die eigene und die europäische Vergangenheit thematisiert wurden, die den gegen-
wärtigen Aufbau der Europäischen Union erst ermöglichte. Die anfänglich scharfe
Trennung zwischen Tätervolk und Opfervölkern weicht so zunehmend einer diffe-
renzierten Sichtweise, die vermehrt individuelle Schicksale betrachtet. Dazu war es
aber zunächst nötig, dass auch die Täterperspektive eingenommen wurde. Während
man als Kollektiv Opfer war, ermöglicht erst ein Blick auf die konkrete Implikation
Einzelner, Schuld zu thematisieren. Erst im Anschluss daran wird es möglich, die
Frage nach der Schuld auf europäischer Ebene differenziert zu betrachten und damit
der von Bielefeld kritisierten „naiven“ Selbstthematisierung der Europäischen
Union ein realistischeres Bild entgegenzusetzen.
Diesen von Bielefeld auf der Ebene einzelner Intellektuellenbeiträge beschrie-
benen Prozess zeichnete Stefan Seidendof in seinem Beitrag „Verständigung gegen
die Vergangenheit?“ am konkreten Fall Frankreichs und Deutschlands nach. In einer
Weiterführung seines politikwissenschaftlichen Dissertationsprojekts untersuchte er
Identitätsdiskurse, die von offiziellen Repräsentanten der beiden Staaten jeweils in
den fünfziger, achtziger, und neunziger Jahren gemacht wurden. Diese Selbstthema-
tisierungen kontrastierte er einerseits mit den strukturell fortwirkenden, akzeptierten
nationalen Denkweisen, wie sie in den „Identitätsdiskursen“ der Tagespresse zu fas-
 
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