Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2006
DOI Kapitel:
Jahresfeier am 20. Mai 2006
DOI Artikel:
Jäger, Willi: Mathematische Modelle und Computersimulation biologischer Prozesse: Realität in Silico?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0036
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
48

JAHRESFEIER

Dabei sind dt bzw. dj die Ableitungen nach der Zeit bzw. nach der i-ten Koordinate
des Ortes. Die Prozesse, die Runge bzw. Liesegang betrachteten, lassen sich ebenfalls
mit nichtlinearen partiellen Differentialgleichungen modellieren, allerdings muss die
Situation des Chromatographen bzw. des Übergangs zwischen Phasen besonders
modelliert werden.
Soll das Modell Strukturbildung beschreiben, so sollte das System Lösungen
mit räumlicher bzw. zeitlicher Struktur besitzen, die stabil sind. 1952 beschreibt der
Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Turing in der Arbeit „ The Chemical Basis
of Morphogenesis “ [37] erstmals einen Mechanismus, wie sich bei Reaktions-Diffu-
sions-Systemen spontan Strukturen bilden können. Er stellte fest, dass räumlich
homogene, zeitlich konstante Zustände, die bezüglich der reinen Reaktion stabil
sind, bei räumlicher Wechselwirkung durch Diffusion destabilisiert werden. Das heißt:
Kleine Störungen können bewirken, dass das System in einen stabileren Zustand mit
Struktur übergeht. Dieser Vorgang wird als Turing-Mechanismus bezeichnet und
dient als Erklärung für Strukturbildung in physikalisch-chemischen und biologi-
schen Systemen [31]. Dabei spielen nichtlineare Wechselwirkungen in Raum und
Zeit zwischen beteiligten Partnern eine wesentliche Rolle.

Die Musterbildung, wie sie von Runge und Liesegang
zunächst in physikalisch-chemischen Systemen beobach-
tet wurde, lässt sich nicht auf die Destabilisierung von
Zuständen mit weniger Struktur zurückführen. Viel-
mehr handelt es sich um Strukturen, die von dem zeit-
lichen Verlauf stärker abhängen, die sich in Wellenfron-
ten in Zeit und Raum ausbilden und mathematisch
anders erfasst werden müssen. Die aktuelle Forschung
zu Prozessen in Zellen und Zellverbänden zeigt, dass in
der Tat die Chromatographie aus mathematischer Sicht
auf ähnlichen Prozessen beruht. Sie laufen in einer kom-
plexen Geometrie ab, wie man sie bei porösen Medien
kennt, bei denen man einen festen und einen fluiden Anteil unterscheidet. Die nach-
folgenden Figuren zeigen zum Vergleich Mikrostrukturen 14a (1—4) und unterschied-
liche reale bzw. schematisch dargestellte „chromatographische Säulen“ 14b (a-d).
Geht man von diesem Konzept aus, so betrachtet man Chromatin-Strukturen
in einer Zelle wie Fasern im Gewebe eines Filters, Zellen eines Zellgewebes wie die
Pellets in einer chromatographischen Säule, mit reaktiver Strömung und Transport in
der fluiden Phase sowie Transport und Reaktionen in den Pellets und an deren
Oberflächen [13, 19, 22-25], Wir finden in biologischen Medien auf allen Skalen
Vorgänge wie in porösen Medien, allerdings von größerer Komplexität. Bei beiden
sind auch die Wirkungen mechanischer und elektrischer Kräfte zu beachten.
Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass Mechanik und Chemie im zellulären
Bereich wechselwirken, dass Zellen wachsen, sich teilen oder sterben, dass neben
Stoffflüssen auch Signaltransport und Signalverarbeitung zu beschreiben sind.

Figur 13: Alan Turing
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften