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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Öffentliche Gesamtsitzung in Karlsruhe am 28. Oktober 2006
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Langewiesche, Dieter: Die Monarchie im bürgerlichen Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0085
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28. Oktober 2006

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über jenen zwei Kräften, die zunächst ihre Existenz zu vernichten drohten: Konsti-
tutionalisierung und Nationalisierung.
Die Monarchie behauptete sich, weil sie anpassungsfähig war. Sie verweigerte
sich nicht dem Trend zur Stärkung der Parlamentsmacht, wenngleich sie ihn zu
blockieren und dann zu begrenzen suchte, und sie übte in dem Prozeß demokrati-
scher Fundamentalpolitisierung des späten 19. Jahrhunderts eine Integrationskraft
aus, auf die kaum eine der Nationen Europas verzichten wollte. Bürgerliche Nation,
in ihrer modernen Gestalt ein Geschöpf der Revolution, und Monarchie, die anti-
revolutionäre Kraft schlechthin, schienen als Gegenpole zu einer entwicklungsoffe-
nen Symbiose gefunden zu haben. Sie endete in den Verliererstaaten abrupt und
überraschend mit dem Ersten Weltkrieg. Die Monarchie lebte nicht mehr aus eige-
nem Recht. Sie war zu einer Institution neben anderen geworden; herausgehoben
zwar, doch wie alle anderen mußte sie sich durch Leistung legitimieren, zu erbrin-
gen vor allem im Krieg, wenn es um die Existenz der Nation und ihres Staates ging.
Krieg und Militär waren die staatlichen Handlungsfelder, in denen die Monarchie
ihre alte Entscheidungsmacht am stärksten hatte behaupten können. Hier entschied
sich, ob die Symbiose von Nation und Monarchie Bestand hatte oder nicht.
Napoleon III. hatte dies bereits 1871 erfahren müssen. Er kapitulierte, nicht
aber die französische Nation. Sie setzte nun erneut, und diesmal endgültig, ihr
monarchisches Haupt ab und führte als Republik den Nationalkrieg weiter, den der
Monarch hatte beenden wollen.
Das Bündnis zwischen Nation und Monarchie ist zerbrechlich, lautete diese
Botschaft; es verträgt keine existentielle Belastung, und dies im Laufe des Jahrhun-
derts immer weniger. Die Niederlagen der 1850er und 60er Jahre, verbunden mit
großen Gebietsverlusten an den entstehenden italienischen Nationalstaat, hatten den
historisch gefestigten habsburgischen Thron noch nicht erschüttert. In der Welt-
kriegsniederlage von 1918 ging er unter; wie alle anderen sieglosen Monarchien.
Ihnen folgten überall Republiken. Die Nation schien der Monarchie nicht mehr zu
bedürfen. Eine der wirkungsmächtigsten Zäsuren in der jüngeren europäischen
Geschichte. Nation und Monarchie hatten im Krieg gemeinsam den Nationalstaat
geschaffen, nun zerbrach dieses Bündnis überall an der Niederlage im Krieg.
Das Zusammenspiel von Monarchie und Nation im 19. Jahrhundert wurde in
seinen Grundmustern auf drei Ebenen nachgezeichnet: Europa, Deutschland und
deutsche Einzelstaaten.
Die Zerstörung des alten Europas um 1800 war wie das neue ein Gemein-
schaftswerk von Revolution und Monarchie. Die Dynastien Europas waren Opfer
und zugleich Täter. Sie kämpften gegen die politische Revolution, doch sie beteilig-
ten sich an der Revolutionierung der Staatenordnung Europas, gingen in ihr unter
oder gewannen durch sie.
Anders als üblich wurde in dem Vortrag der Zentralisierungsschub, der mit der
Zerstörung der territorialen Gestalt Alteuropas und dem Neubau auf dem Wiener
Kongreß einherging, nicht als Bruch mit der frühneuzeitlichen Staatstradition
gedeutet, sondern als ein Kulminationspunkt in einer gesamteuropäischen Entwick-
lungslinie, die auf Machtkonzentration zielt. Im 19. Jahrhundert setzte sie sich auch
 
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