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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Antrittsreden
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Schneidmüller, Bernd: Antrittsrede vom 10. Juni 2006
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0114
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ANTRITTSREDEN

Für meine Habilitationsschrift „Nomen patriae. Die Entstehung Frankreichs in
der politisch-geographischen Terminologie (10.—13. Jahrhundert)“ fand ich in der
Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel sowie in west- und südeuropäischen Biblio-
theken die idealen Arbeitsorte. In der jahrelangen Lektüre alter Handschriften und
dickleibiger Folianten begegnete ich dem Zauber der Wörter und der Kraft jener
Imaginationen, welche die französische Nationsbildung im mittelalterlichen Europa
so einzigartig machten. Die Kontinuität der fränkisch-französischen Begrifflichkeit
bildete im historischen Wandel politische Wirklichkeiten ab und brachte sie gleich-
zeitig hervor. Als ich die lange Dauer französischer Geschichtskonstruktionen seit
trojanischen Anfängen erforschte, erlebte ich den seltsamen Gegensatz zu den
Brüchen deutscher Geschichte, die man damals östlich von Braunschweig an der
deutsch-deutschen Grenze sah.
Eine erste Beteiligung an der Niedersächsischen Landesausstellung „Stadt im
Wandel“ 1985 wurde zum Ausgangspunkt vieler Engagements. Die verantwortliche
Mitarbeit an großen Mittelalterausstellungen bot die Möglichkeit, mit der Kraft des
Authentischen ein weites Publikum zu erreichen. Ich durfte das bei Großausstellun-
gen erproben wie: Die Frankfurter Messen; Heinrich der Löwe und seine Zeit; Otto
der Große, Magdeburg und Europa; Kaiser Heinrich II.; Saladin und die Kreuzfah-
rer; Canossa; Das Heilige Römische Reich deutscher Nation. Die unmittelbaren
Begegnungen mit einer hochrangigen Überlieferung veränderten meine bisherige
Mittelalterrezeption aus Büchern und ließen Respekt und Bewunderung vor der
Originalität des mittelalterlichen Erbes entstehen. Seit zehn Jahren arbeite ich bei
Ausstellungen und Tagungen mit Stefan Weinfurter zusammen. Diese Teamarbeit,
früher nicht typisch für geisteswissenschaftliche Forschung, führte über die Jahre zu
vielen gemeinsamen Projekten.
Als Professor in Oldenburg, Braunschweig, Bamberg und Heidelberg durfte
ich immer wieder neue Themen der mittelalterlichen Geschichte ausprobieren. Ich
ließ mich von der Stadt- und Landesgeschichte meiner Arbeitsorte anziehen. Orts-
und Themenwechsel eröffneten neue Perspektiven. Bei manchen Zufällen kristalli-
sierten sich übergreifende Interessen heraus. Sie galten den politischen Verbandsbil-
dungen, den Wahrnehmungen als Grundmustern der Überlieferung, der zukunfts-
und rückwärtsgewandten Konstruktion von Identitäten, dem Wandel der Erinne-
rung, den Formen konsensualer Herrschaft.
Im letzten Jahrzehnt veränderte sich meine anfängliche Konzentration auf
klassische Methoden der Geschichtswissenschaft. Abgelehnte Berufungsangebote
nach Köln und Bonn ermöglichten mir in Bamberg die Gründung eines interdiszi-
plinären Zentrums für Mittelalterstudien. Die ungewohnte Zusammenarbeit mit
Archäologen, Denkmalpflegern, Kunsthistorikern, Philologen und Theologen führte
mich ebenso wie die Beteiligung am DFG-Graduiertenkolleg 260 „Kunstwissen-
schaft — Bauforschung — Denkmalpflege“ (Universität Bamberg und Technische
Universität Berlin) zu einem neuen Verständnis meines eigenen Fachs und seiner
historischen Bedingtheiten. Damals trat ich in die Herausgebergremien einiger
Schriftenreihen und der Zeitschrift für historische Forschung ein. Über acht Jahre
war ich gewählter Fachgutachter der DFG.
 
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