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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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II. Die Forschungsvorhaben
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Berichte über die Tätigkeit der Forschungsvorhaben
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Die Forschungsstellen der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
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12. Martin Bucers Deutsche Schriften
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0196
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TÄTIGKEITSBERICHTE

altgläubigen Lager als Bruch der Reichsfriedensordnung betrachtet — hatte dem
Reichskammergericht einen willkommenen Anlaß gegeben, die reformatorische
Bewegung durch eine Flut von Prozessen empfindlich anzugreifen. Diese politisch
gefährliche Lage und der während des Schmalkaldener Bundestages im Februar 1537
geäußerte Vorwurf des Reichsvizekanzlers Matthias Held, die Evangelischen hätten
sich bei der Übernahme der Kirchengiiter nicht vom Evangelium, sondern von
eigennützigen materiellen Interessen leiten lassen, veranlaßten Bucer dazu, sich zu
diesem Thema in Gestalt der vorliegenden zehn Schriften zu äußern.
Zwei von ihnen sind Gutachten, die die Räte zweier evangelischer Städte,
Braunschweig und Hamburg, dem Straßburger Reformator eigens in Auftrag gaben.
Darin gibt Bucer ihnen spezifische Ratschläge zur Durchsetzung ihrer Reformvor-
sätze gegen die Opposition des altgläubigen Herzogs Heinrich von Braunschweig
und des Hamburger Domkapitels. Die restlichen Schriften haben eher den Charak-
ter theoretischer Abhandlungen, die die Vorgehensweise der Evangelischen in der
Kirchengüterfrage zu rechtfertigen versuchen und ein Modell zur rechten Verwen-
dung des Kirchengutes, nämlich für die Pfarrerausbildung, die Armenfürsorge und
die Sicherstellung der kirchlichen Arbeit, vor allem der Seelsorge, entwerfen. Auch
wenn Bucer erwartungsgemäß die theologische und rechtliche Legitimität des
Reichskammergerichts abstreitet und dem altgläubigen Klerus ein Recht auf das
Kirchengut radikal abspricht, so zögert er dennoch nicht, mit den eigenen evangeli-
schen Reichsständen streng ins Gericht zu gehen und sie vor der Verwirtschaftung
und Vergeudung des Kirchenguts zu warnen.
In diesen Schriften ebenfalls unverkennbar ist das Bestreben Bucers, trotz vor-
dergründiger schroffer Polemik gegen die Parteigänger des „Antichrists“, auf die von
ihm vorausgesetzten reformfreundlichen Kräfte im katholischen Lager zuzugehen
und den Dialog mit ihnen zu suchen.Vor allem in seinem umfangreichenWerk „Von
Kirchengütern“ stellt er einen präzise durchdachten Entwurf vor, der den geistlichen
Fürsten einen Übertritt zur Reformation bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer stan-
desgemäßen Privilegien ermöglichen soll. Freilich ist das für Bucer nur dann mög-
lich, wenn die zwei Aufgaben, Seelsorge und Verwaltung des bischöflichen Territori-
ums, nicht mehr in einer Person vereint werden. So kommt in diesen Schriften eine
Theologie zum Ausdruck, die sich in der praktischen Auseinandersetzung mit den
konkreten Herausforderungen der evangelischen Bewegung entwickelte und stets
das „göttliche Recht“ — von Bucer als Heilige Schrift und die mit ihr überstim-
menden Äußerungen der Kirchenväter und Satzungen des Römischen Rechts ver-
standen - zur Grundlage hatte. Letztlich nach demselben Muster argumentiert der
Straßburger Reformator auch in dem gänzlich anders gearteten, inner-evangelischen
Konflikt um das Verhältnis zwischen Kirche und Universität Basel im Jahr 1539, zu
deren Überwindung Bucer drei Gutachten verfaßte, die den Band abschließen.
Im September 2006 wurde die Forschungsstelle auf ein im Thüringischen
Hauptstaatsarchiv in Weimar aufbewahrtes und von der Forschung bisher nicht zur
Kenntnis genommenes Gutachten des Straßburger Reformators zur Kirchengüter-
frage aufmerksam. Die Aufnahme und Kommentierung dieser Schrift, die Bucer
wohl als Anhang eines in den aktuellen Band bereits aufgenommenen, für den
 
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