Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2007 — 2007

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2007
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 16. Januar 2007
DOI Artikel:
Maran, Joseph: Gab es eine Krise vor dem Untergang der mykenischen Palastgesellschaft? - Neue Forschungsergebnisse aus der Argolis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66959#0048
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
26. Januar 2007

61

9. Aus Kommissionen und Forschungsstellen. Mehrere Kommissionsvorsitzenden be-
richten über die jüngsten Bescheide der Wissenschaftlichen Kommission der
Union: Herr E. A. Schmidt über die Annee Philologique, Herr Maul über
ThesCRA, Herr Wolgast über Martin Bucers Deutsche Schriften und Herr Kühl-
mann über das Goethe-Wörterbuch. Über das DEAF berichtet der Sekretär selbst.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
Herr Joseph Maran hält einen Vortrag: „Gab es eine Krise vor dem Untergang der
mykenischen Palastgesellschaft? — Neue Forschungsergebnisse aus der Argolis“.
Der Zusammenbruch der mykenischen Paläste Südgriechenlands um 1200 v. Chr.
gibt der Forschung viele Rätsel auf. Warum fielen in so unterschiedlichen Land-
schaften wie Messenien, der Argolis und Böotien Paläste umfassenden Katastrophen
mit intensiven Bränden zum Opfer? Es lässt sich noch nicht sagen, wie gleichzeitig
diese Zerstörungen waren, doch ist sicher, dass es am Ende der Palastzeit (ca. 1400—
1200 v. Chr.) zu einer auffälligen Häufung einschneidender Katastrophen gekom-
men ist. Danach gab es in Griechenland für viele Jahrhunderte keine Paläste mehr,
keine Schriftverwendung und auch keine hiermit verbundenen administrativen
Strukturen, und das Konzept eines starken mykenischen Herrschers, des wanax, ver-
schwand sogar für immer aus dem Spektrum politischer Institutionen des antiken
Griechenlands. Angesichts dieser tief greifenden und weiträumig nachweisbaren
Umwälzung lag es nahe, nach einem einzigen Auslöser zu suchen. Nachdem die
Theorie einer Zerstörung durch Seevölker oder andere Eindringlinge mangels
archäologischer Anhaltspunkte immer mehr an Attraktivität verloren hatte, verlegte
sich die Forschung zusehends auf die Suche nach möglichen Naturkatastrophen als
Auslöser. Tatsächlich wurden inTiryns und Midea (Argolis) an Mauern von Gebäu-
den der ausgehenden Palastzeit Anzeichen für ein schweres Erdbeben festgestellt.
Nichts deutet indes daraufhin, dass auch die zeitgleichen Zerstörungen in den ande-
ren Palästen durch Erdbeben verursacht wurden.
Selbst wenn aber em schweres Erdbeben dem Niedergang einiger der Paläste
vorausgegangen ist, stellt sich in einer Erdbebenzone wie Griechenland unmittelbar
die Frage, warum diese Naturkatastrophe so viel weiter reichende Folgen als solche
der vorangegangenen Zeit gehabt haben sollte. Derartige Überlegungen haben viele
zu dem Schluss geführt, die letzten Jahrzehnte mykenischer Palastherrschaft müssten
von Verfall und einer schweren Krise begleitet worden sein, weshalb sich die end-
gültige Katastrophe lediglich als Todesstoß für ein bereits zutiefst zerrüttetes System
ausgewirkt habe.
Neue archäologische Forschungsergebnisse, die in dem mykenischen Palast-
zentrum vonTiryns (Argolis) erzielt wurden, lassen Zweifel an dieser Sichtweise auf-
kommen und belegen die Notwendigkeit einer differenzierteren historischen
Betrachtung. Entgegen der Erwartung, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte der
mykenischen Palastgesellschaft die Handlungsspielräume der politischen Akteure
infolge eines sich verstärkenden krisenhaften Zustandes immer mehr eingeengt
wurde, erkennen wir an diesem Ort ein genau entgegen gesetztes Bild. Zwar deuten
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften