Das WIN-Kolleg | 319
Religiöse und poetische Konstruktion der Lebensalter
Konzeptualisierung und Kommentierung von Alterszäsuren im Lebenszyklus
Sprecher: Thorsten Fitzon.
Kollegiaten: Dorothee Elm1, Thorsten Fitzon1, Kathrin Liess2, Sandra Linden2.
1 Universität Freiburg
2 Universität Tübingen
Kontakt: http://www.germanistik.um-freiburg.de/lebensalter
Die hohe Variabilität des Alterns beim Menschen stellt die klassischen Theorien der
Evolutionsbiologie ebenso vor neue Fragen wie sie vermehrt den Blick auf das kul-
turelle Verstehen von Alterungsprozessen lenkt. Einerseits scheint durch den verlän-
gerten Lebenszyklus em rem evolutionsbiologischer Erklärungszusammenhang von
Reproduktion, Seneszenz und Mortalität unzureichend, andererseits haben sich die
kognitiven Vorstellungen vom symmetrischen Verlauf des menschlichen Lebens
(Treppenstufen, Tages- und Jahreszeiten) vordergründig wenig verändert. Dass sich
die Lebensphasen aber relativ zur gesamten Lebensdauer verhalten und deshalb der
individuellen Variabilität wie auf lange Sicht auch dem demographischen Wandel
anzupassen sind, spielte bereits der Stadtarzt Hippolytus Guarinonius aus Hall in
Tirol in den Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts (1610) gedanklich durch:
So sei die populäre Einteilung des menschlichen Lebens in zehn Dekaden nicht so
sehr wegen der optimistischen Lebenserwartung von 100 Jahren, als vielmehr wegen
der starren Einteilung in Zehnerschritte kaum nachvollziehbar, dürfe man bei einem
hundertjährigen Leben doch nicht annehmen, dass etwa die Kindheit mit dem zehn-
ten Lebensjahr bereits abgeschlossen sein könne. Die heute real gegebene Dissonanz
zwischen verlängerter Lebenszeit und überkommenen, erstarrten Lebensaltermodel-
len führt das Problem des Guarinonius’ wieder vor Augen: Das menschliche Altern
hat eine Geschichte und unterliegt historisch Varianten Diskursivierungen. An die-
sem Punkt setzt unser Projekt ein, das davon ausgeht, dass Altern weder auf seine
Biologie noch auf einen absoluten Konstruktivismus reduziert werden kann. Viel-
mehr wird Altern als Wirklichkeit erfahren, die vielfach vermittelt und modelliert ist.
Die Arbeitsgruppe aus einer Theologin, einer Altphilologin, einer Mediävistm und
einem Neugermanisten konzentriert sich darauf, die sprachliche Konstruktion und
Ausdeutung von Altersstufen und -Zäsuren zu untersuchen, da sich in der Sprache
die wissenschaftlichen und die ästhetischen Diskurse berühren.
Aus moderner Perspektive steht die sprachliche Deutung des menschlichen
Lebenszyklus im Schnittpunkt verschiedener Diskurse, in denen sich Aspekte der
longue duree mit der neuzeitlichen Anthropologie und Medizin kreuzen. Während
sich die Forschung in den letzten Jahren der Kultur-, Medizin- und Sozialgeschichte
des Lebenslaufs zugewandt hat, folgt unser Projekt der Hypothese, dass in religiösen
und poetischen Texten Altersdiskurse ebenso gespiegelt wie ästhetisch überschritten
Religiöse und poetische Konstruktion der Lebensalter
Konzeptualisierung und Kommentierung von Alterszäsuren im Lebenszyklus
Sprecher: Thorsten Fitzon.
Kollegiaten: Dorothee Elm1, Thorsten Fitzon1, Kathrin Liess2, Sandra Linden2.
1 Universität Freiburg
2 Universität Tübingen
Kontakt: http://www.germanistik.um-freiburg.de/lebensalter
Die hohe Variabilität des Alterns beim Menschen stellt die klassischen Theorien der
Evolutionsbiologie ebenso vor neue Fragen wie sie vermehrt den Blick auf das kul-
turelle Verstehen von Alterungsprozessen lenkt. Einerseits scheint durch den verlän-
gerten Lebenszyklus em rem evolutionsbiologischer Erklärungszusammenhang von
Reproduktion, Seneszenz und Mortalität unzureichend, andererseits haben sich die
kognitiven Vorstellungen vom symmetrischen Verlauf des menschlichen Lebens
(Treppenstufen, Tages- und Jahreszeiten) vordergründig wenig verändert. Dass sich
die Lebensphasen aber relativ zur gesamten Lebensdauer verhalten und deshalb der
individuellen Variabilität wie auf lange Sicht auch dem demographischen Wandel
anzupassen sind, spielte bereits der Stadtarzt Hippolytus Guarinonius aus Hall in
Tirol in den Grewel der Verwüstung menschlichen Geschlechts (1610) gedanklich durch:
So sei die populäre Einteilung des menschlichen Lebens in zehn Dekaden nicht so
sehr wegen der optimistischen Lebenserwartung von 100 Jahren, als vielmehr wegen
der starren Einteilung in Zehnerschritte kaum nachvollziehbar, dürfe man bei einem
hundertjährigen Leben doch nicht annehmen, dass etwa die Kindheit mit dem zehn-
ten Lebensjahr bereits abgeschlossen sein könne. Die heute real gegebene Dissonanz
zwischen verlängerter Lebenszeit und überkommenen, erstarrten Lebensaltermodel-
len führt das Problem des Guarinonius’ wieder vor Augen: Das menschliche Altern
hat eine Geschichte und unterliegt historisch Varianten Diskursivierungen. An die-
sem Punkt setzt unser Projekt ein, das davon ausgeht, dass Altern weder auf seine
Biologie noch auf einen absoluten Konstruktivismus reduziert werden kann. Viel-
mehr wird Altern als Wirklichkeit erfahren, die vielfach vermittelt und modelliert ist.
Die Arbeitsgruppe aus einer Theologin, einer Altphilologin, einer Mediävistm und
einem Neugermanisten konzentriert sich darauf, die sprachliche Konstruktion und
Ausdeutung von Altersstufen und -Zäsuren zu untersuchen, da sich in der Sprache
die wissenschaftlichen und die ästhetischen Diskurse berühren.
Aus moderner Perspektive steht die sprachliche Deutung des menschlichen
Lebenszyklus im Schnittpunkt verschiedener Diskurse, in denen sich Aspekte der
longue duree mit der neuzeitlichen Anthropologie und Medizin kreuzen. Während
sich die Forschung in den letzten Jahren der Kultur-, Medizin- und Sozialgeschichte
des Lebenslaufs zugewandt hat, folgt unser Projekt der Hypothese, dass in religiösen
und poetischen Texten Altersdiskurse ebenso gespiegelt wie ästhetisch überschritten