Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2008
DOI Kapitel:
Jahresfeier am 14. Juni 2008
DOI Artikel:
Niehrs, Christof: Dialektik der embryonalen Induktion
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0037
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
50

JAHRESFEIER

Morphogen
Konzentration

Induzierter
Zelltyp


Schwellen-
wert

Abbildung 9: Morphogene und konzentrationsabhängige Induktion
Schema des Konzentrationsgradienten eines Morphogens, das von einer punktförmigen Quelle aus
diffundiert. Liegt ein Zellgewebe im Gradienten eines solchen Morphogens, so induziert das
Morphogen die Zellen bei bestimmten Schwellenkonzentrationen sich in verschiedene Zelltypen
zu entwickeln. Auf diese Weise entsteht unter dem Einfluss des Morphogengradienten ein Gewebe-
muster. Die konzentrationsabhängige Wirkung des Morphogens ist formal ähnlich dem dialekti-
schen Umschlag von Quantität in Qualität.

Nun wirken die Wachstumsfaktoren nicht nur einfach als An- bzw. Ausschalter
eines bestimmten Zellschicksals, sondern sie können in Abhängigkeit von ihrer Kon-
zentration unterschiedliche Reaktionen in embryonalen Zellen hervorrufen. Wir
bezeichnen solche Faktoren als Morphogene. Liegt ein Zellgewebe im Gradienten
eines solchen Morphogens, so differenzieren die Zellen bei bestimmten Schwellen-
konzentrationen in verschiedene Organe. Auf diese Weise entsteht im Morphogen-
gradienten ein Gewebemuster (Abb. 9). Die Rolle des vom Organisator sezernierten
Cocktails besteht darin, diese Morphogengradienten zu regulieren. Durch Trans-
plantation einer zweiten Urmundlippe in einem Gastrulakeim kommt es daher zur
Ausbildung zweier spiegelbildlicher Morphogengradienten und als Ergebnis zur
Zwillingsbildung. Wir werden auch auf dieses Umschlagen von Quantität in Qua-
lität noch zurückkommen.
Hegels Antwort auf den Empirismus
Nach diesen knapp skizzierten Grundlagen der embryonalen Induktion, wenden wir
uns nun dem dialektischen Prozess und seiner formalen Ähnlichkeit zur Induktion
zu. Der Ausdruck Dialektik leitet sich ab vom griechischen dialegein, auslesen; dialek-
tike techne bedeutet Kunst der Unterredung. Bei Sokrates bedeutet es das berühmte
Stilmittel von Rede und Widerrede, das Abwägen von Pro und Contra, um zu einer
weiterführenden Aussage zu gelangen. Seine volle philosophische Wucht hat der
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften