Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2008
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 25. Januar 2008
DOI Artikel:
Boehm, Gottfried: Die Fragilität der Originale: über die Verborgenheit der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0051
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
64

SITZUNGEN

eingeführt. Ein frühes Beispiel sind die Serien, die Claude Monet von Kathedralen,
Heuschobern, Pappeln oder Seerosen geschaffen hat, ein Konzept, das sich dann bis
zu Jawlensky, Albers oder Warhol fortgesetzt hat. Und Duchamp ritt bereits 1913
eine radikale Attacke auf das Original als ein gemachtes, als Resultat eines Könnens.
Er ersetzte es durch ein Vorgefundenes („Ready Made“). Performative, konzeptuel-
le oder installative Tendenzen haben in der Nachkriegszeit, verstärkt durch die
Medienkunst, einem überkommenen Verständnis des Originals den Boden entzogen.
Gibt es einen Kunstbegriff ohne Originale? Hat er zwar viel Vergangenheit, aber
keine Zukunft?
Eine genauere Betrachtung entdeckt, dass das „Original“ seinerseits entstanden
ist, die Antike und das Mittelalter beispielsweise ohne diesen Begriff und die darin
enthaltene Authentizitätsforderung ausgekommen sind. In der neuzeitlichen Kunst,
seit dem Ende des Spätmittelalters, hat sich zwar der Künstler als ein eminenter
Creator herausgebildet, zugleich aber auch ein reiches Kopienwesen. Die Kopie, für
eine autonome Kunstauffassung geradezu Gegenbegriff aller Originalität, verträgt
sich durchaus mit dem Gedanken des Ausgezeichneten, des singulären Werkes. Am
Beispiel einer Kopie, die Rubens von Tizians „Adam und Eva“ (beide im Prado,
Madrid) geschaffen hat, wird die Möglichkeit einer produktiven Aneignung erkenn-
bar, die ihre Pointe nicht in einer blinden Verdoppelung besitzt. Der Künstler bindet
sich in dieser Zeit an Vorgaben: der Tradition, des Geschmacks, der Ikonographie und
nicht zuletzt seines eigenen merkantilen Werkstattbetriebs und gewinnt darin ori-
ginäre Spielräume der Darstellung.
Das Konzept des emphatischen Originals dagegen setzt den einsamen und sich
selbst allein verantwortlichen Künstler voraus. Nach einer langen Vorentwicklung hat
schließlich Kant dem Original mit der Idee des Originalgenies die höchste Bewertung
gegeben. Aus diesem eminenten Subjekt spricht eine abgründige Produktivität, eine
Naturanlage. Es ist der Nachhall dieser Idee, der bis heute zu verspüren ist.
Mit dem Aufstieg der Originale seit der Renaissance stellt sich aber auch die
Frage, wie sie mit Sicherheit zu erkennen seien, von Fälschungen oder falschen
Zuweisungen zu unterscheiden? Es war eine Metaphorologie der Eigenhändigkeit,
der „Hand“, welche Autoren wie Mancini (im 17. Jahrhundert) und Morelli (im
19. Jahrhundert) Ansätze lieferte, Kunstwerke als Spuren einer persönlichen Mani-
festation zu behandeln, so dass sich die kennerschaftliche Kritik der Authentizität des
Modells einer (medizinischen) Symptomatologie bedienen konnte. Dabei geht es vor
allem darum, aus den Spuren auf den Verursacher zu schließen und damit den Status
des Originals abzusichern.
Die harsche Alternative Original versus Reproduktion erweist sich im Zuge
neuer künstlerischer Verfahren, die zum Beispiel mit der Zerlegung des visuellen
Eindrucks beziehungsweise bildlicher Vorlagen operieren, das Werk nach dem
Modell eines Rasters verstehen, als nicht länger haltbar. Eine sich immer mehr ent-
ziehende Realität wird in Akten der „Wiederholung“ erfasst, ein Konzept, das in der
neueren Ästhetik zunehmend Bedeutung gewonnen hat.
Welchen Ort und welche Begründung können wir am Ende dieses gedank-
lichen Weges dem Original verleihen? Die Rede vom Tod des Autors (Foucault,
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften