Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2008 — 2009

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2008
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Sitzung der Math.-nat. Klasse am 25. Juli 2008
DOI Artikel:
Dosch, Hans Günter: Perception insensible bei Leibniz als Grundlage für eine Philosophie der Neurowissenschaften
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.67591#0079
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
92

SITZUNGEN

5. Mitarbeiterpreis
Die Aussprache über den Vorschlag eines Mitarbeiterpreises ergibt, dass die Mitglie-
der keine gravierenden Schwierigkeiten in der Identifizierung von Preisträgern
sehen und prinzipiell einen solchen Vorschlag begrüßen.
WISSENSCHAFTLICHE SITZUNG
HERR HANS GÜNTER DOSCH HÄLT EINEN VORTRAG:
„Perception insensible bei Leibniz als Grundlage für eine Philosophie der Neurowis-
senschaften“.
Leibniz führte das Konzept der perceptions insensibles in seinen NEUEN ABHAND-
LUNGEN ÜBER DAS MENSCHLICHE VERSTEHEN ein. Dort setzt er sich kon-
struktiv kritisch mit dem Exponenten des Empirismus, John Locke, auseinander.
Nach diesem bleibt der Sinneseindruck ohne Wahrnehmung vollkommen auf dem
rein organischen Niveau. Leibniz dagegen unterscheidet zwischen Perception und
Apperception. Der Geist (Seele) kann percipieren, ohne sich dessen bewusst zu sein,
d. h. ohne zu appercipieren. Der Begriff der Seele oder des Geistes (mind) ist also bei
Leibniz viel weiter gespannt als bei Locke.
Die perceptions insensibles machen das Individuum aus, sie sind wesentlich für die
kontinuierliche Existenz einer Person und sie sind ebenfalls wesentlich, um die
wahrgenommenen Perzeptionen in eine stetige Reihe von Perzeptionen einzubin-
den. Die kleinen Perzeptionen bestimmen uns auch in vielen Fällen, ohne dass man
daran denkt.
Von diesen und vielen anderen Beispielen kommt Leibniz zu dem Schluss, dass
die perceptions insensibles in der Seelenlehre eine ähnlich wichtige Rolle spielen wie
die kleinen Korpuskeln in der Physik. Ihre Existenz zu leugnen, nur weil wir sie
nicht wahrnehmen, ist in beiden Fällen unbegründet.
Für Leibniz, wie auch für Locke, ist Perzeption ein komplexer abstrakter
Begriff und kann sicherlich nicht auf eine Bedeutung wie „Sinneseindruck“ ein-
schränkt werden. In der Monadologie definiert Leibniz die Perzeption als „den vor-
übergehenden Zustand, der eine Vielheit in der Einheit einhüllt und darstellt“. Auf der
anderen Seite spricht Leibniz von den Perzeptionen und ihren Konsequenzen in
sehr konkreter Form, so z. B. beim Beispiel von der einzelnen Welle und der Bran-
dung.
Leibniz selbst sieht eine enge Beziehung zwischen den zentralen Problemen
des Zusammenhanges zwischen Geist und Körper einerseits und der physikalischen
Dynamik andererseits.
Wie auch in der Seelenlehre setzt er sich auch dort kritisch mit Descartes aus-
einander. Ein wichtiger Punkt für Leibniz war, dass die Cartesianischen Stoßgesetze
nicht nur im Widerspruch zur Erfahrung standen, sondern auch im Widerspruch zu
einem metaphysischen Prinzip, das Leibniz für eines der wichtigsten und nützlich-
sten hielt, nämlich dem Kontinuitätsprinzip. Leibniz verwarf daher, zu recht wie wir
heute sagen können, den rein geometrischen Materiebegriff von Descartes und er
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften