25. Oktober 2008
105
In allen drei Domänen erweist sich der aktuelle Trend, Produkte vor allem nach
Visibilität und Nachfrage bzw. Zitationshäufigkeit zu bewerten — den „Einschalt-
quoten“ sozusagen, um mit dem ehemaligen Max-Planck-Präsidenten Hubert
Markl zu sprechen - als sehr problematisch und sogar kontraproduktiv. Denn inno-
vative, kritische und vom Mainstream abweichende Forschungen werden per defini-
tionem zunächst immer von Minderheiten getragen, wie es Serge Moscovici et al.
(1994) sehr eindringlich dargestellt haben.
In der Forschungsforderung wird zunehmend in vielen Ländern erwartet,
nicht zuletzt bei europäischen Fördermitteln, dass jede einzelne Forschung eine
gesellschaftliche Nachfrage bedient und unmittelbar verwertet werden kann. Dies
bedeutet eine bedenkliche Schwächung der oft nur wenigen Experten verständli-
chen Grundlagenforschung und eine (oftmals vorgetäuschte) Konzentration auf
unmittelbar verwertbare, einer breiten Öffentlichkeit nachvollziehbare Anwendun-
gen.
Hinsichtlich der Bewertung von Publikationen gilt: Die wichtigsten publizier-
ten Forschungsergebnisse erscheinen oft nicht in den Zeitschriften mit den höchsten
Zitationsraten, welche das journalistische Kriterium der Visibilität höher einstufen als
das wissenschaftliche Kriterium der Validität.
Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der Lehre an neue Generationen wei-
ter gegeben und damit vervielfältigt werden, gilt ebenfalls, dass Seminare und Vor-
lesungen, die sich zunehmend den studentischen Bewertungen und den Kriterien
der studentischen Arbeitszufriedenheit anpassen, nicht unbedingt effektives Lernen
fordern.
Empirische Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie zeigen, dass effektives
und nachhaltiges Lernen meist nicht von dem Gefühl des leichten Verständnisses und
des Flow Experience begleitet wird, sondern oft von einem Gefühl des schweren
Verstehens des zu lernenden Materials. Eine nur an Interessantheit und Lernzufrie-
denheit ausgerichtete Bewertung von Lehrveranstaltungen, losgelöst von einer
gleichzeitigen objektiven Messung des Lernerfolges, kann langfristig eine „Illusion
des Lernens“ begünstigen (Koriat, 2000), die jedoch - wie jede Illusion - nicht mit
der Wirklichkeit übereinstimmen muss.
Auf allen drei Stadien oder Ebenen — Forschungsforderung, Publikation und
Lehre — geht von den gegenwärtig propagierten und mechanistisch eingeführten
Verfahren der Evaluation mithilfe objektiver Indices ein weitreichender Konfor-
mitätseffekt aus. Dieser potenziert die Auffassung und den Geschmack von Majo-
ritäten und behindert dabei innovative Beiträge, die zu Anfang immer von Mino-
ritäten ausgehen müssen, die zunächst weder häufig zitiert noch gewinnbringend
vermarktet werden können. Bezogen auf Kellys zwei Stufen des kreativen Zyklus —
die Produktion neuer und abweichender Ideen sowie die anschließende Selektion
der besten Ideen — bedeutet dies, dass die erste, eigentlich kreative und innovative
Stufe des kreativen Zyklus durch die gängigen Verfahren der Evaluation stark beein-
trächtigt werden kann. Forschungsanträge werden von der Taktik der Anpassung
bestimmt statt von mutiger Innovation. Publikationen werden von Zeitschriften mit
hoher Zitationsrate angezogen, weg von Zeitschriften, denen wissenschaftliche Prin-
105
In allen drei Domänen erweist sich der aktuelle Trend, Produkte vor allem nach
Visibilität und Nachfrage bzw. Zitationshäufigkeit zu bewerten — den „Einschalt-
quoten“ sozusagen, um mit dem ehemaligen Max-Planck-Präsidenten Hubert
Markl zu sprechen - als sehr problematisch und sogar kontraproduktiv. Denn inno-
vative, kritische und vom Mainstream abweichende Forschungen werden per defini-
tionem zunächst immer von Minderheiten getragen, wie es Serge Moscovici et al.
(1994) sehr eindringlich dargestellt haben.
In der Forschungsforderung wird zunehmend in vielen Ländern erwartet,
nicht zuletzt bei europäischen Fördermitteln, dass jede einzelne Forschung eine
gesellschaftliche Nachfrage bedient und unmittelbar verwertet werden kann. Dies
bedeutet eine bedenkliche Schwächung der oft nur wenigen Experten verständli-
chen Grundlagenforschung und eine (oftmals vorgetäuschte) Konzentration auf
unmittelbar verwertbare, einer breiten Öffentlichkeit nachvollziehbare Anwendun-
gen.
Hinsichtlich der Bewertung von Publikationen gilt: Die wichtigsten publizier-
ten Forschungsergebnisse erscheinen oft nicht in den Zeitschriften mit den höchsten
Zitationsraten, welche das journalistische Kriterium der Visibilität höher einstufen als
das wissenschaftliche Kriterium der Validität.
Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse in der Lehre an neue Generationen wei-
ter gegeben und damit vervielfältigt werden, gilt ebenfalls, dass Seminare und Vor-
lesungen, die sich zunehmend den studentischen Bewertungen und den Kriterien
der studentischen Arbeitszufriedenheit anpassen, nicht unbedingt effektives Lernen
fordern.
Empirische Erkenntnisse aus der kognitiven Psychologie zeigen, dass effektives
und nachhaltiges Lernen meist nicht von dem Gefühl des leichten Verständnisses und
des Flow Experience begleitet wird, sondern oft von einem Gefühl des schweren
Verstehens des zu lernenden Materials. Eine nur an Interessantheit und Lernzufrie-
denheit ausgerichtete Bewertung von Lehrveranstaltungen, losgelöst von einer
gleichzeitigen objektiven Messung des Lernerfolges, kann langfristig eine „Illusion
des Lernens“ begünstigen (Koriat, 2000), die jedoch - wie jede Illusion - nicht mit
der Wirklichkeit übereinstimmen muss.
Auf allen drei Stadien oder Ebenen — Forschungsforderung, Publikation und
Lehre — geht von den gegenwärtig propagierten und mechanistisch eingeführten
Verfahren der Evaluation mithilfe objektiver Indices ein weitreichender Konfor-
mitätseffekt aus. Dieser potenziert die Auffassung und den Geschmack von Majo-
ritäten und behindert dabei innovative Beiträge, die zu Anfang immer von Mino-
ritäten ausgehen müssen, die zunächst weder häufig zitiert noch gewinnbringend
vermarktet werden können. Bezogen auf Kellys zwei Stufen des kreativen Zyklus —
die Produktion neuer und abweichender Ideen sowie die anschließende Selektion
der besten Ideen — bedeutet dies, dass die erste, eigentlich kreative und innovative
Stufe des kreativen Zyklus durch die gängigen Verfahren der Evaluation stark beein-
trächtigt werden kann. Forschungsanträge werden von der Taktik der Anpassung
bestimmt statt von mutiger Innovation. Publikationen werden von Zeitschriften mit
hoher Zitationsrate angezogen, weg von Zeitschriften, denen wissenschaftliche Prin-