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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Phil.-hist. Klasse am 23. Januar 2009
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Maissen, Thomas: Wie die Jungfrau zum Staat kam: Staatspersonifikationen in der Frühen Neuzeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0076
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SITZUNGEN

damit „Königreichern gleich“ unter „Frömbde Stände“ — Ausdruck der völker-
rechtlichen Souveränität der Schweiz, wie sie im Gefolge des Westfälischen Friedens
1648 Anerkennung findet.
Das Verhältnis zwischen Mann/Fürst und Landespersonifikation illustriert
also die jeweiligen Verfassungsverhältnisse. Venetia kann von oben dem Dogen die
Huld erweisen, wobei sie auf Tintorettos Gemälde ikonographisch von einer
Madonna nicht mehr zu unterscheiden ist. Sie kann selbst thronen und dem Herr-
scher die verbindlichen Grundgesetze übergeben, so Britannia nach der Glorious
Revolution 1689; sie kann stehend, aber würdig vom thronenden spanischen König
Philipp II. empfangen werden, wie die niederländischen Provinzen; dieselben kön-
nen aber auch in Ketten und demütig kniend dem spanischen Statthalter vorge-
führt werden. In dieser Situation, das zeigen Bilder wie Texte, gibt es aber auch die
Möglichkeit der Scheidung: Hollandia gibt Philipp II. den Ring zurück, nachdem
er sich als Tyrann erwiesen hat, also die Pflichten des fürsorglichen Gatten ver-
nachlässigt hat.
Während die erwähnten Beispiele die Verletzlichkeit der Souveränität illu-
strieren, zeigt die Übernahme Marias als Himmelskönigin ihre Majestät. An
schweizerischen Beispielen wird deutlich, dass hier fast gleichzeitig — 1698 — im
Luzerner und im Zürcher Rathaus ganz ähnliche Formen für Lucerna und Tigu-
rina gefunden werden, die ihrerseits auf ebenfalls gleichzeitige Darstellungen
rekurrieren, die Maria selbst als Regina coeli zeigen. Neben ihr kommt für diese
herrschaftlichen Konnotationen aber auch eine andere, bewaffnete und siegreiche
Jungfrau in Frage: Athene bzw. Minerva, deren Ikonographie nicht nur für etliche
Staatspersonifikationen genutzt wird, sondern auch in Cesare Ripas wegweisender
Ikonologia (1603) als Modell empfohlen wird, wenn eine Republik dargestellt wer-
den soll. Ebenfalls herrschaftlich ist das Attribut der Krone, das auch Republiken
z.B. über ihre Wappen setzen, um den Anspruch auf Souveränität gegen außen zu
manifestieren. Interessant ist die schweizerische Kombination mit dem Freiheits-
hut, der zugleich die freistaathche Verfassung im Inneren symbolisiert. Diese Kom-
bination von Freiheitshut oder -mütze, Landeswappen und weiblicher Staatsperso-
nifikation findet sich im 18. Jahrhundert nicht nur in der Eidgenossenschaft,
sondern auf einem Siegelentwurf für die neuartige, große Republik der USA. Von
dieser America ist es nur ein kleiner Schritt zu Marianne — ikonographisch wie
ereignisgeschichtlich.
Die facettenreiche Diskussion erbrachte vor allem Hinweise auf Vorläufer, wie
den altorientalischen hieros gamos oder die Stadt- und Landesallegorien in der
Petrarca-Tradition, aber auch auf die Mauerkrone von Canovas Italia piangente für das
Grab Alfieris. Skeptische Nachfragen vermissten in Zusammenhang mit Souveränität
und Gewaltmonopol das herrschaftliche Element, wie es etwa auf Thomas Hobbes’
Frontispiz zum Leviathan ganz anders greifbar ist, als bei einer schwachen, von Ver-
gewaltigung bedrohten Jungfrau. Im Hinblick auf Maria mag dies allerdings eine
allzu protestantische Sichtweise sein.
 
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