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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 24. Januar 2009
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Welker, Michael: Die Anthropologie des Paulus als interdisziplinäre Kontakttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0083
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24. Januar 2009

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uns einen „non-reductive physicalism“, einen „dual-aspect monism“ und andere
meta-theoretischen Modelle nahezulegen, die in der Sicht der Geisteswissenschaftler
nicht in der Lage waren, wichtige der zu behandelnden Phänomene zu integrieren1.
Doch unsere anfängliche programmatische Idee „Regaining a Complex Notion of
the Human Person“ erwies sich als nicht weniger problematisch. Nachdrücklich gab
der Heidelberger Philosoph Andreas Kemmerling zu bedenken: „Etwas, das an dem
Begriff der Person zutiefst verwirrend ist, ist dies: sein unerschöpflicher Reichtum.
Selbst der basale und dürrste, ,ontologische’, Begriff der Person ist unerschöpflich
vielfältig. Und es ist völlig unklar, welche seiner Merkmale Kernbestandteile sind —
und welche eher an den begrifflichen Rand gehören oder vielleicht sogar nur als von
anderen abgeleitet zu betrachten sind.“2 Gegenüber der Furcht, im Nachdenken
über menschliche Personalität durch dualisierende Reduktionismen eine Blindheit
für zentrale anthropologische Phänome zu erzeugen und wichtige Wissensgebiete
strukturell auszugrenzen, hat Andreas Kemmerling die Gefahr beschworen, „über
dem Reichtum (des Begriffs der Person) ins Grübeln (zu) verfallen“ und „in einem
Fass ohne Boden (zu) versinken“. Er hat vorgeschlagen, die inhaltlichen und theore-
tischen Interessen offenzulegen, die mit einer Diskussion über diesen Begriff ver-
bunden werden sollen, um auf diesem Wege zu versuchen, „ein bisschen Ordnung
in das begriffliche Durcheinander zu bringen“.3 Mit Hilfe einer Rekonstruktion der
Anthropologie des Paulus, die unsere genannten Anliegen aufzunehmen vermag,
möchte ich dieser Aufgabe in fünf Schritten nachkommen.
Im ersten Abschnitt werde ich den scharfen Dualismus von Fleisch und Geist
bei Paulus beleuchten, der auf den ersten Blick ja geradezu als Wurzel zahlreicher
reduktionistischer Übel in der Anthropologie angesehen werden kann. Im zweiten
Abschnitt werde ich über Paulus’ Beobachtungen zur Vieldimensionalität des
menschlichen Leibes sprechen. Geist und Seele als säkulare Größen werden uns im
dritten Abschnitt beschäftigen. Im vierten Schritt möchte ich Paulus’ Rede von Herz
und Gewissen als Indikatoren für zu erschließende anthropologische Themenfelder
ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit rücken. Im fünften Abschnitt soll abschließend
ein kurzer Blick geworfen werden auf einige Aufschlüsse, die Paulus zum Verhältnis
von menschlichem Geist und Gottes Geist zu geben vermag.
I. Der Dualismus von Fleisch und Geist
In seinem Brief an die Galater bezeichnet Paulus Fleisch und Geist als „Feinde“, weil
sie jeweils ein „Begehren“ auslösen, das sich der anderen Seite entgegenstellt. Durch

1 Vgl. z.B. die Bemühungen, den Dualismus von „physicalism and mentalism“ durch einen „non-
reductive physicalism“ zu überwinden, in:W. S. Brown u.a., Whatever Happened to the Soul?
Scientific and Theological Portraits of Human Nature, Fortress Press: Minneapolis 1998.
2 Andreas Kemmerling, Was macht den Begriff der Person so besonders schwierig?, in: G. Thomas
u.A. Schüle (hg.), Gegenwart des lebendigen Christus, FS M. Welker, EVA: Leipzig 2007, 541—
565, 544f.
3 Kemmerling, aaO., 564 und 563.
 
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