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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 24. Januar 2009
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Welker, Michael: Die Anthropologie des Paulus als interdisziplinäre Kontakttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0084
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SITZUNGEN

diese feindselige Konstellation wird eine Unfreiheit des Menschen erzeugt, die sich
nur dann aufheben lässt, wenn der Mensch sich vom Geist leiten lässt: „Darum sage
ich: Lasst euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht
erfüllen; denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren
des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, sodass ihr
nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt.“ (Gal 5,16f) Die vom Begehren des
Fleisches bestimmten Menschen sind nach Paulus der Endlichkeit, der Vergänglich-
keit und dem Verderben unterworfen; die vom Geist bestimmten „ernten ewiges
Leben“ (vgl. Gal 6,8).
Diese Überzeugung vertritt auch der Römerbrief: „Das Trachten des Fleisches
führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden.“ (Röm 8,6)
Der nachdrückliche Rat des Paulus lautet deshalb: „Wenn ihr nach dem Fleisch
lebt, müsst ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Leibes tötet, wer-
det ihr leben.“ (Röm 8,13) Wie immer die negativ konnotierten „Taten des Leibes“
und das merkwürdige Töten dieser Taten durch den Geist im Einzelnen zu verste-
hen sind - es ist zunächst festzuhalten, dass Paulus das Fleisch nicht einfach als eine
möglichst völlig zu ignorierende oder auszulöschende dämonische Größe ansieht.
Obwohl Paulus auch durch die scharfe Unterscheidung von sarx und soma,
Fleisch und Leib, die Verbindung von geschöpflicher Dimension des Fleisches und
Vergänglichkeit immer wieder stark unterstreicht4, ist die besondere „Materialität“
des Fleisches z.B. gegenüber Stein und Staub eine durchaus hoch zu schätzende
Größe. Der zweite Korintherbrief betont im Anschluss an einen Assoziationszusam-
menhang von Ex 24,12, Ez 11,19; 36,26 und Jer 31,33: „Unverkennbar seid ihr ein
Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, geschrieben ... mit dem Geist des
lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern — wie auf Tafeln — in Herzen
von Fleisch“ (2 Kor 3,3). Die Erwägung, dies könnte ein zufälliges oder gar verun-
glücktes Spiel mit Worten sein, wird durch Aussagen über den Offenbarungsdienst
nicht nur des Leibes, sondern auch des Fleisches ausgeräumt, zum Beispiel 2 Kor
4,11: „Denn immer werden wir, obgleich wir leben, um Jesu willen dem Tod ausge-
liefert, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird.“ Die
sarx kann in vielfältiger Hinsicht Trägerin von Offenbarung werden.
Wohl steht das Fleisch für die irdische, hinfällige und vergängliche Existenz.
Aber dieser Existenz kommt die Würde zu, die Abstammung eines Lebens zu mar-
kieren und auch den Ernst und die Dramatik des göttlichen Offenbarungswillens.
Nach dem Römerbrief verkündigt Paulus das Evangelium des Sohnes Gottes „der
dem Fleisch nach geboren ist als Nachkomme Davids“ (Röm 1,3; vgl. 8,3). Und
Israel wird gerühmt, dass ihm „dem Fleisch nach der (über allem stehende) Christus
entstammt“ (Röm 9,5).Wird darüber hinaus die von Paulus vielfältig betonte gottes-
dienstliche Bedeutung, ja Offenbarungskraft des menschlichen Leibes ernst genom-
men und wird gesehen, dass der irdische Leib untrennbar mit dem von ihm deutlich

Vgl. alttestamentliche Aussagen wie Jes 40,6: „Alles Fleich ist wie Gras“, das verdorrt (vgl. 40,7f);
Hi 7,5: „Mein Fleisch ist eine Beute des Gewürms.“
 
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