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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Gesamtsitzung am 24. Januar 2009
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Welker, Michael: Die Anthropologie des Paulus als interdisziplinäre Kontakttheorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0087
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24. Januar 2009

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vielmehr ein komplexer vielgliedriger Organismus, der sehr verschiedene Dienste
und Funktionen miteinander verbindet. Als solcher ist er ein Bereich, eine Sphäre, in
der Gott „wohnen“ und durch die Gott verherrlicht werden will: „Oder wisst ihr
nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den
ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr
erkauft worden.Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“ (1 Kor 6,19f)
Paulus kann den Leib geradezu als Offenbarungsträger darstellen, an dem
Leben und Sterben Jesu erkennbar werden (2 Kor 4,10; Gal 6,17): „Darauf warte und
hoffe ich, dass ... Christus in aller Öffentlichkeit — wie immer, so auch jetzt — durch
meinen Leib verherrlicht wird, ob ich lebe oder sterbe“ (Phil 1,20). Im Bild des Lei-
bes als vielgliedrigem Organismus veranschaulicht Paulus fast langatmig die Existenz
des nachösterlichen auferstandenen Christus und die Verfassung der Kirche (vgl.
besonders 1 Kor 12,12ff): „Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder
hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden:
so ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in
einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle
wurden wir mit dem einen Geist getränkt“ (1 Kor 12,12f). Wiederholt fordert Pau-
lus die angeschriebenen Mitchristen auf, sich als zusammenwirkende Glieder am
einen Leib Christi zu verstehen: „Ihr aber seid der Leib Christi, und jeder einzelne
ist ein Glied an ihm“ (1 Kor 12,27; Röm 12,41).
Paulus verwendet die Bilder von der „Erbauung“ und die Lebendigkeit des
vielgliedrigen Leibes, um das Wirken des göttlichen Geistes und die hohe Bedeutung
der Sakramente Taufe und Abendmahl zu verdeutlichen. Die in die Herzen der
Glaubenden durch den Geist „ausgegossene Liebe“ (Röm 5,5) schließt diese zum
Leib Christi zusammen.'1 Dabei wirkt Gott durch den Geist an jedem einzelnen
Menschen. Der Geist teilt jedem Menschen „seine besondere Gabe zu, wie er will“
(1 Kor 12,11). („Nun aber hat Gott jedes einzelne Glied so in den Leib eingefugt,
wie es seiner Absicht entsprach.“ (1 Kor 12,18)) Das Wunder des organischen
Zusammenspiels der individuellen Glieder im einen Leib ist geistgewirkt.5 6 Geistge-
wirkt ist aber auch die gemeinsame Ausstrahlung und die gezielte gemeinsame Akti-
vität der Glieder des Leibes. Die Betonung dieses Zusammenwirkens von Geist und
Leib kann noch einmal die Kritik des Paulus an der Zungenrede unterstreichen, die
Kritik an dem Versuch einer „rein geistigen“ Kontaktaufnahme mit Gott.
Schließlich wird die hohe Bedeutung des Leibes auch in seiner spezifischen
Materialität durch die Einsetzung des Abendmahls betont. Das geteilte und die
Gemeinde zeichenhaft nährende und „erbauende“ Brot ist der „Leib Christi“ („das

5 Zur Relevanz der Figur der „Ausgießung des Geistes“ s. M. Welker, Gottes Geist. Theologie des
Heiligen Geistes, Neukirchener Verlag: Neukirchen 3. Aufl. 2005, 132ff und 214ff.
6 John Polkinghorne hat vorgeschlagen, die Personalität des Geistes in seiner Kontext-Sensitivität
zu erkennen: J. Polkinghorne u. M. Welker, An den lebendigen Gott glauben. Ein Gespräch,
Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2005, 103ff; ders., The Hidden Spirit and the Cosmos, in:
M. Welker (ed.),The Work of the Spirit. Pneumatology and Pentecostalism, Eerdmans: Grand
Rapids and Cambridge 2006, 169ff.
 
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