Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2009
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Artikel:
Koch, Anton Friedrich: Die Macht der Antinomie und die normativen Grundlagen der Polis
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0105
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
23. Oktober 2009

121

Wörter“ ist nicht nur sinnvoll, sondern auch wahr, und Gödel hat den Selbstbezug
von Sätzen vollends rehabilitiert, indem er zeigte, daß die Arithmetik ihre eigene
Syntaxtheorie enthält. Die Syntax wohl, sagt man nun, aber nicht die Semantik! Man
kann, so heißt es, auf einer gegebenen Sprachebene keine semantischen Aussagen
über diese Ebene machen. Wenn ich sage, daß ein Satz wahr oder falsch ist, bin ich
immer eine Ebene über ihm, in einer ausdrucksstärkeren Metasprache.
Aber das stimmt nicht für unsere natürliche Sprache, wie schon Tarski sah, der
sie eben deswegen für die mathematische Semantik, die Modelltheorie, verwarf
zugunsten einer Hierarchie von formalisierten Objekt- und Metasprachen. Unsere
natürliche Sprache ist semantisch geschlossen, d.h., sie enthält ihre eigene Semantik,
und ist (trivialerweise) eine Universalsprache, d.h. eine, in der man über alles spre-
chen kann, etwa, wie gerade geschehen, mittels des Indefinitpronomens „alles“.
Nehmen wir an, Max und Moritz werden nach ihrem Pulveranschlag auf Leh-
rer Lämpel getrennt vernommen und machen jeweils nur eine Aussage. Max sagt:
„Was Moritz aussagt, ist wahr“. Gleichzeitig sagt Moritz im Nebenzimmer: „Was
Max aussagt, ist nicht wahr“. Keiner dieser Sätze läßt an Verständlichkeit zu wün-
schen übrig, und dennoch ergeben sie zusammen wieder die Antinomie. Wir kön-
nen es drehen und wenden, wie wir wollen: Unser Denken ist, weil zu ihm die
Verneinung gehört und weil wir über Beliebiges nachdenken können, auch über das
Denken selber, mit einer unheilbaren Inkonsistenz behaftet. Die Quelle der Lügner-
antinomie ist also nicht das Wahrheitsprädikat, sondern die Negation (vor dem Hin-
tergrund der immer möglichen Selbstbeziehung). Demnach war Parmenides keines-
wegs von allen guten Geistern verlassen, als er die Negation aus dem logischen
Raum ausschließen wollte.
3. Beweisidee für die Subjektivitätsthese
Daß es einzelne Gegenstände, gleichviel ob Makro- oder Mikroobjekte, gibt, die
irgendwelche Eigenschaften exemplifizieren, ist ein grundlegender kategorialer
Sachverhalt und unabhängig von der Geltung spezifischer Naturgesetze. Es ist daher
logisch möglich, wenn auch vielleicht nicht physikalisch möglich, daß es in Raum
und Zeit massive Symmetrien oderWiederholungen gibt, zum Beispiel eine perio-
dische Wiederkehr des exakt Gleichen seit ewigen Zeiten und in ewige Zeiten.
Dann hätte jeder von uns in beiden zeitlichen Richtungen unendlich viele Doppel-
gänger, von denen wir objektiv, d.h. von einem neutralen Standpunkt aus, prinzipi-
ell nicht zu unterscheiden wären. Eine vollständige Beschreibung der Welt von
außen würde nichts nützen, um ein Ding aus der Menge seiner Doppelgänger her-
auszuheben. Nun ist aber das Prinzip der identitas indiscernibilium, jedenfalls wenn
auch relationale Eigenschaften berücksichtigt werden, ein allgemeingültiger Satz der
Prädikatenlogik zweiter Stufe:
«)(/■ w/y) -* x = y
Also muß von jedem meiner unendlich vielen Doppelgänger etwas gelten, was nur
von ihm, nicht auch von mir und den anderen Doppelgängern gilt. Man sieht auch
auf Anhieb, was das ist: Ich lebe jetzt, mein nächster Doppelgänger wird in x Jahren
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften