Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

DOI Kapitel:
I. Das Geschäftsjahr 2009
DOI Kapitel:
Antrittsreden
DOI Artikel:
Strohm, Christoph: Antrittsrede vom 24. Januar 2009
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0134
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
150

ANTRITTSREDEN

großer Teil der Theologen des frühen Calvinismus hatte ursprünglich die Jurispru-
denz/das Zivilrecht studiert.
Nach der Habilitation im Jahre 1995 war ich von 1996 an knapp zehn Jahre
an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Im wesentlichen zwei Forschungsschwer-
punkte haben sich hier im Gefolge der Habilitation herausgebildet. Zum einen ist es
die Erforschung der weniger bekannten Reformatoren „in der zweiten Reihe“
neben den prägenden Gestalten Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin. Sowohl
im lutherischen als auch im reformierten Bereich sind hier Theologen zu nennen,
die in ihrer Gestaltungskraft stark unterschätzt worden sind. Unter den Reformier-
ten habe ich das eigenständige theologische Profil und die Wirkung des Nachfolgers
Zwinglis in Zürich, Heinrich Bullinger, oder auch Petrus Martyr Vermiglis und
Johannes a Lascos zu würdigen versucht. Auch der Straßburger Reformator Martin
Bucer, dessen Werke wir in Heidelberg edieren, sei hier erwähnt.
Mein zweites Forschungsgebiet, aus den Erkenntnissen der Habilitationsschrift,
aber auch früheren Interessen für die Rechtsgeschichte hervorgegangen, ist die
Klärung weltanschaulich-konfessioneller Aspekte in der Rechtsentwicklung der
Frühen Neuzeit. Im Zusammenhang eines Forschungsprojekts habe ich eine größe-
re, im vergangenen Jahr veröffentlichte Untersuchung zur Frage des Einflusses der
Konfession auf die Rechtslehre calvinistisch-reformierter Juristen erarbeitet. Im
Zuge der neueren historiographischen Diskussion ist die funktionale Gleichheit
der lutherischen, reformierten und tridentinisch-katholischen Konfession betont
worden. Ihr Beitrag zur Verdichtung und inneren Organisation der entstehenden Ter-
ritorialstaaten wird als strukturell ähnlich angesehen. Jedoch darf nicht übersehen
werden, dass die einzelnen Konfessionen auf den verschiedenen Kulturfeldern wie
zum Beispiel der bildenden Kunst sehr unterschiedliche Wirkungen gezeitigt haben.
In der Rechtsentwicklung hat sich die neue Wertschätzung des Lebens in der
Welt durch die lutherische und reformierte Theologie, die Betonung des Eigenrechts
der weltlichen Obrigkeit sowie die Destruktion weiter Teile des kanonischen Rechts
außerordentlich produktiv ausgewirkt. In diesem Sinne nach der Bedeutung welt-
anschaulich-konfessioneller Aspekte für die Rechtsentwicklung am Beginn der
Moderne zu fragen, ist gegenwärtig in besonderer Weise relevant. Denn in dem
heute geforderten Dialog oder real vorhandenen Konflikt der unterschiedlichen
Zivilisationen müssen wir auskunftsfähig darüber sein, welche Rolle die unter-
schiedlichen Ausprägungen des Christentums bei der Werte- und Institutionenbil-
dung unserer Zivilisation gespielt haben. Nur so sind wir dialogfähig.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen kurzen Bemerkungen zu meinem Lebenslauf, mei-
nen intellektuellen Prägungen und Forschungsinteressen deutlich gemacht zu haben,
warum mir das eingangs zitierte Wort Wilhelm Diltheys in besonderer Weise aus-
sagekräftig ist: „[...] mein Beruf ist, das Innerste des religiösen Lebens in der Historie zu
erfassen und zur bewegenden Darstellung zu bringen in unseren von Staat und Wis-
senschaft ausschließlich bewegten Zeiten.“ 150 Jahre später müsste man wohl sagen
„von Wirtschaft und technischem Fortschritt ausschließlich bewegten Zeiten“; aber
darüber wäre zu diskutieren. Ich freue mich auf die herausragenden Möglichkeiten,
die die Heidelberger Akademie der Wissenschaften hierzu bietet.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften