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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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I. Das Geschäftsjahr 2009
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Antrittsreden
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Holzem, Andreas: Antrittsrede vom 12. Dezember 2009
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0148
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ANTRITTSREDEN

Antrittsrede von Herrn ANDREAS HOLZEM
an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom 12. Dezember 2009.

Wer unter Ihnen Sönke Wortmanns Film „Das Wunder
von Bern“ gesehen hat, bekam — nebenbei — ein Bild
des Ruhrgebiets in den 1950ern. Als ich dort in den
60ern aufwuchs, geschah das explizit ohne alle Wun-
derbarkeiten). Die Welt meiner frühen Jahre trug sich
noch in ganz vergleichbarer Weise nicht zur Schau.
Das öffentlich werbende Szenenbild des Films —
improvisiert bolzende Halbwüchsige in einer Zechen-
siedlung — zeigt selbstverständlich nicht mich später zur
Welt Gekommenen, schon deswegen nicht, weil durch
einen bedauerlichen Defekt mein Fußball-Gen völlig
unterentwickelt blieb, bis heute. Aber der sonstige Phä-
notyp passt durchaus: eine gewisse kärglich-unprätentiöse Staksigkeit in kurzen
Lederhosen.
Ich erzähle das nicht, um Ihnen Tellerwäscher-Typologien aufzutischen.
Ich glaube aber, von Ihnen so ehrenvoll eingeladen, über Wurzeln und Weisen
meines wissenschaftlichen Arbeitens kurz nachzudenken, dass meine Art Geschich-
te zu treiben mit dieser so spektakulär unsensationellen Herkunft aus einem
kleinen Dortmunder Reihenhaus nicht unverwoben ist. Denn ich erlebte dort
sehr selbstverständlich und unreflektiert eine Welt und eine Kirche, in der kleine
Leute wichtig waren und, unabhängig von Bildung und auch Besitz, eine sehr
eigene Würde hatten. Und ich glaube heute sagen zu können, dass hinter aller
fachwissenschaftlichen Diskursivität, mit der ich eine Sozial-, Mentalitäts- und
Kulturgeschichte des Christentums zu treiben versuche, der Impuls wirksam ist,
einfache Menschen der Vergangenheit in eben diesen Strukturen der Würde auf-
zusuchen.
Weder eine Professur für die Christentumsgeschichte des Mittelalters und der
Neuzeit noch gar eine Mitgliedschaft in der Heidelberger Akademie der Wissen-
schaften war etwas irgendwie Denkbares, als ich nach dem Zivildienst 1982 Theolo-
gie zu studieren begann. Ich hatte ein so auf Sinnstiftung und soziale Verantwortung
gerichtetes ‘Religiotop’ kennengelernt, dass ich diesen kulturellen Räumen meine
Arbeitskraft widmen wollte. Ich nenne hier Namen, die keiner kennt — symbolisch
und wegen der Würde: Hans Jürgen Kalbers, Dieter Grohmann, Mary Hillebrand,
Ruth Ehlert, wenige für viele. Die Theologie des II.Vatikanischen Konzils, aber auch
seine Theorie christlicher Praxis hatte hier eine eigentümlich dichte Rezeptions-
geschichte erfahren. Das zeigt, welche Enttäuschungen derzeit und im Grunde schon
seit längerem zu verarbeiten sind. Meine Studierenden können sich von dem
Aufbruchs-Katholizismus der 1970er und noch der frühen 80er Jahre gar keine Vor-
stellung mehr machen — ich fange an, Religionsethnographie in eigener Sache zu
treiben.
 
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