Margot Becke-Goehring
191
chemischer Reaktionen, schließlich zu präparativen Arbeiten. Für letztere wählte sie
das scheinbar abgeschlossene und somit aus der Mode gekommene Gebiet der anor-
ganischen Molekülverbindungen, offenbar wohl wissend, dass eine zeitlang brach lie-
gende Felder besonders reich Früchte tragen.
Zunächst als Assistentin und Privatdozentin in Heidelberg tätig, wurde Margot
Becke 1947 zur planmäßigen außerordentlichen Professorin ernannt. Das folgende
Jahrzehnt erwies sich für sie als ungemein ertragreich, mit der Entdeckung einer
Fülle neuer Verbindungen und tiefen Einsichten bei ihren systematischen Unter-
suchungen, die vor allem der Hauptgruppenchemie der Elemente Schwefel und
Phosphor in der Kombination mit Stickstoff gewidmet waren, Arbeiten, die untrenn-
bar mit ihrem Namen verbunden sind. Die Forschung weitete sich zunehmend in
andere Bereiche der Nichtmetallchemie aus und schloss Untersuchungen über neue
Silizium- und Bor-Verbindungen ein. In einer großen Zahl von Originalarbeiten,
mehreren Handbuchartikeln und Büchern sind die Ergebnisse ihrer Forschung
dokumentiert. Die Meisterschaft im Experimentieren und die Umsicht bei der Pla-
nung und Durchführung der Versuche lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man
etwa die Publikationen über die recht ungemütlich reagierenden Schwefelnitride
liest. Aus ihrem hoch motivierten Arbeitskreis ging eine ungewöhnlich große Zahl
erfolgreicher akademischer Lehrer hervor. Die Fachwelt war längst auf ihre Arbeiten
aufmerksam geworden, und 1961 erhielt sie dafür — als erste Wissenschaftlerin — den
Alfred Stock-Gedächtnispreis der Gesellschaft Deutscher Chemiker.
Kurz zuvor hatte es Veränderungen im privaten wie im beruflichen Leben
gegeben. Im Jahre 1957 heiratete Margot Goehring den Industriechemiker Friedrich
Becke. Die glückliche Gemeinsamkeit fand schon nach 16 Jahren mit dem frühen
Tod ihres Mannes ein Ende. 1959 wurde Margot Becke als ordentliche Professorin
für anorganische und analytische Chemie an die Universität Heidelberg berufen.
Wie die vielen folgenden Publikationen belegen, war das nächste Jahrzehnt weiter-
hin von erfolgreicher Forschung geprägt, es kamen jedoch zunehmend Tätigkeiten
allgemeiner Natur hinzu und traten schließlich in den Vordergrund, die man ihr
wegen ihrer Tatkraft und ihres ausgeprägten Interesses für das Ganze antrug. 1961
wurde sie für zwei Jahre zum Dekan der Naturwissenschaftlich-Mathematischen
Fakultät gewählt und in den Jahren 1966/1968 versah sie als erste Frau an einer
deutschen Universität das Amt des Rektors der Ruperto Carola. Sie gelangte in die-
ses Amt in einer Zeit des völligen Umbruchs. Wofür sie stand und unter physischer
und psychischer Belastung bis an die Grenze des Erträglichen kämpfte, lässt sich
einem kurzen Abschnitt ihrer Antrittsrede in der Heidelberger Akademie entneh-
men:
„Mit dem Anspruch der Universität, eine Stätte zu sein, in der die Wahrheit
gesucht wird in der Gemeinschaft von Forschern und Studenten, hängt der
Anspruch auf Autonomie zusammen. Eine solche Stätte musste für alle Möglich-
keiten und alle Wege offen sein, für das Neue und für die Wiedergewinnung ver-
gessener Wahrheit; sie musste frei sein von Dogmatik und damit von staatlicher und
institutioneller Reglementierung. Autonomie erfordert Selbstkritik, Kooptation
der Besten, Verzicht auf Manipulation, Ehrfurcht und reglementierte Gebundenheit
191
chemischer Reaktionen, schließlich zu präparativen Arbeiten. Für letztere wählte sie
das scheinbar abgeschlossene und somit aus der Mode gekommene Gebiet der anor-
ganischen Molekülverbindungen, offenbar wohl wissend, dass eine zeitlang brach lie-
gende Felder besonders reich Früchte tragen.
Zunächst als Assistentin und Privatdozentin in Heidelberg tätig, wurde Margot
Becke 1947 zur planmäßigen außerordentlichen Professorin ernannt. Das folgende
Jahrzehnt erwies sich für sie als ungemein ertragreich, mit der Entdeckung einer
Fülle neuer Verbindungen und tiefen Einsichten bei ihren systematischen Unter-
suchungen, die vor allem der Hauptgruppenchemie der Elemente Schwefel und
Phosphor in der Kombination mit Stickstoff gewidmet waren, Arbeiten, die untrenn-
bar mit ihrem Namen verbunden sind. Die Forschung weitete sich zunehmend in
andere Bereiche der Nichtmetallchemie aus und schloss Untersuchungen über neue
Silizium- und Bor-Verbindungen ein. In einer großen Zahl von Originalarbeiten,
mehreren Handbuchartikeln und Büchern sind die Ergebnisse ihrer Forschung
dokumentiert. Die Meisterschaft im Experimentieren und die Umsicht bei der Pla-
nung und Durchführung der Versuche lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man
etwa die Publikationen über die recht ungemütlich reagierenden Schwefelnitride
liest. Aus ihrem hoch motivierten Arbeitskreis ging eine ungewöhnlich große Zahl
erfolgreicher akademischer Lehrer hervor. Die Fachwelt war längst auf ihre Arbeiten
aufmerksam geworden, und 1961 erhielt sie dafür — als erste Wissenschaftlerin — den
Alfred Stock-Gedächtnispreis der Gesellschaft Deutscher Chemiker.
Kurz zuvor hatte es Veränderungen im privaten wie im beruflichen Leben
gegeben. Im Jahre 1957 heiratete Margot Goehring den Industriechemiker Friedrich
Becke. Die glückliche Gemeinsamkeit fand schon nach 16 Jahren mit dem frühen
Tod ihres Mannes ein Ende. 1959 wurde Margot Becke als ordentliche Professorin
für anorganische und analytische Chemie an die Universität Heidelberg berufen.
Wie die vielen folgenden Publikationen belegen, war das nächste Jahrzehnt weiter-
hin von erfolgreicher Forschung geprägt, es kamen jedoch zunehmend Tätigkeiten
allgemeiner Natur hinzu und traten schließlich in den Vordergrund, die man ihr
wegen ihrer Tatkraft und ihres ausgeprägten Interesses für das Ganze antrug. 1961
wurde sie für zwei Jahre zum Dekan der Naturwissenschaftlich-Mathematischen
Fakultät gewählt und in den Jahren 1966/1968 versah sie als erste Frau an einer
deutschen Universität das Amt des Rektors der Ruperto Carola. Sie gelangte in die-
ses Amt in einer Zeit des völligen Umbruchs. Wofür sie stand und unter physischer
und psychischer Belastung bis an die Grenze des Erträglichen kämpfte, lässt sich
einem kurzen Abschnitt ihrer Antrittsrede in der Heidelberger Akademie entneh-
men:
„Mit dem Anspruch der Universität, eine Stätte zu sein, in der die Wahrheit
gesucht wird in der Gemeinschaft von Forschern und Studenten, hängt der
Anspruch auf Autonomie zusammen. Eine solche Stätte musste für alle Möglich-
keiten und alle Wege offen sein, für das Neue und für die Wiedergewinnung ver-
gessener Wahrheit; sie musste frei sein von Dogmatik und damit von staatlicher und
institutioneller Reglementierung. Autonomie erfordert Selbstkritik, Kooptation
der Besten, Verzicht auf Manipulation, Ehrfurcht und reglementierte Gebundenheit