6. April 2009
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5. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts
Nach dem Ende des Dritten Reiches wurde die Heidelberger Akademie — anders als
die Universität — nicht geschlossen, setzte aber ihre Arbeit zunächst nicht fort, zumal
der Vizepräsident Achelis im September 1945 als NS-Funktionär von der Besat-
zungsmacht verhaftet wurde. Panzer betrieb die Wiederaufnahme der Geschäfte, für
die der Sekretär der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, Karl Freuden-
berg, als erste Aufgabe formulierte: Restitution der Mitglieder, die aufgrund der
nationalsozialistischen Gesetzgebung ausscheiden mussten; Nachholen von Wahlen,
die aus politischen Gründen zurückgestellt worden sind; Wiedereintritt ausgetretener
Mitglieder; Streichung von Namen aus der Mitgliedschaft; Revision der Satzung.
Nachdem die Militärbehörden im Juli 1946 der Wiederaufnahme der Arbeit
zugestimmt hatten, fanden ab 1947 wieder regelmäßig Sitzungen statt. Als Mitglied
wurde akzeptiert, wer von der Militärregierung als Professor bestätigt oder entnazi-
fiziert worden war. Für die anderen ruhte die Mitgliedschaft. Im Dezember 1946
waren von 55 ordentlichen Mitgliedern (Stand: 1. April 1945) 27 zugelassen. Ohne
förmlichen Ausschluss verloren vier ordentliche und zwei korrespondierende Mit-
glieder ihre Mitgliedschaft, andere traten nach günstigem Ausgang ihres Spruch-
kammerverfahrens wieder in ihre Rechte ein. Formell neugewählt wurden 1952
Achelis und Vogt. Zugewählt wurden 1947 in der Mathematisch-naturwissenschaft-
lichen Klasse sieben Mitglieder, in der Philosophisch-historischen Klasse fünf, dar-
unter die Regimeopfer Karl Jaspers, Gustav Radbruch und August Grisebach. Im
Februar 1947 wurden die im Dritten Reich entrechteten und im Exil lebenden ehe-
maligen Mitglieder gefragt, ob sie ihrer Rückkehr in die Akademie als korrespon-
dierende Mitglieder zustimmten. Die Antworten fielen unterschiedlich aus, wenn-
gleich Dibelius in der Festsitzung 1947 feststellen konnte: „In der Mehrzahl der Fälle
ist dies [sc. die erneute Mitgliedschaft] bereits gelungen.“
Wie die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung und ihrer Funktionseli-
ten stellte sich auch die Heidelberger Akademie ihrer Vergangenheit nur sehr selek-
tiv. Vorherrschend war offensichtlich die Überzeugung, standhaft geblieben und
Opfer geworden zu sein. Diese Reaktion auf das Dritte Reich artikulierte der Prä-
sident Dibelius in seinem Jahresbericht 1947: „Unsere Akademie hat sich auch in den
zwölf Jahren nicht für irgend eine politisch bedingte Arbeit missbrauchen lassen und
hat deswegen manche Anfechtung erfahren.“ ImVorwort zu dem Sammelband „Jah-
reshefte 1943/55“, der 1959 erschien, hieß es kryptisch: „Es erschien aus verschie-
denen Gründen nicht angebracht, über die letzten beiden Jahre vor dem Zusam-
menbruch in extenso zu berichten.“
1955 wurde im Nachruf auf Erdmannsdörffer sein Versagen als Sekretär wenig-
stens angedeutet: „Der Entwicklung des Nationalsozialismus stand er mit vornehmer
Zurückhaltung und einer gewissen Resignation gegenüber.“ Dagegen fehlte im
Nekrolog auf Achelis 1964 jeder Hinweis auf seine Rolle im Dritten Reich. Im
Gegenteil: Der Nekrologschreiber Hans Schaefer berief sich auf das Urteil eines
„emigrierten Kollegen der Zeit von 1933“, Achelis sei „nicht fähig, etwas Häßliches
zu tun“. Im Nachruf auf Meyerhof, der nach 1945 der Bitte entsprochen hatte, seine
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5. Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts
Nach dem Ende des Dritten Reiches wurde die Heidelberger Akademie — anders als
die Universität — nicht geschlossen, setzte aber ihre Arbeit zunächst nicht fort, zumal
der Vizepräsident Achelis im September 1945 als NS-Funktionär von der Besat-
zungsmacht verhaftet wurde. Panzer betrieb die Wiederaufnahme der Geschäfte, für
die der Sekretär der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse, Karl Freuden-
berg, als erste Aufgabe formulierte: Restitution der Mitglieder, die aufgrund der
nationalsozialistischen Gesetzgebung ausscheiden mussten; Nachholen von Wahlen,
die aus politischen Gründen zurückgestellt worden sind; Wiedereintritt ausgetretener
Mitglieder; Streichung von Namen aus der Mitgliedschaft; Revision der Satzung.
Nachdem die Militärbehörden im Juli 1946 der Wiederaufnahme der Arbeit
zugestimmt hatten, fanden ab 1947 wieder regelmäßig Sitzungen statt. Als Mitglied
wurde akzeptiert, wer von der Militärregierung als Professor bestätigt oder entnazi-
fiziert worden war. Für die anderen ruhte die Mitgliedschaft. Im Dezember 1946
waren von 55 ordentlichen Mitgliedern (Stand: 1. April 1945) 27 zugelassen. Ohne
förmlichen Ausschluss verloren vier ordentliche und zwei korrespondierende Mit-
glieder ihre Mitgliedschaft, andere traten nach günstigem Ausgang ihres Spruch-
kammerverfahrens wieder in ihre Rechte ein. Formell neugewählt wurden 1952
Achelis und Vogt. Zugewählt wurden 1947 in der Mathematisch-naturwissenschaft-
lichen Klasse sieben Mitglieder, in der Philosophisch-historischen Klasse fünf, dar-
unter die Regimeopfer Karl Jaspers, Gustav Radbruch und August Grisebach. Im
Februar 1947 wurden die im Dritten Reich entrechteten und im Exil lebenden ehe-
maligen Mitglieder gefragt, ob sie ihrer Rückkehr in die Akademie als korrespon-
dierende Mitglieder zustimmten. Die Antworten fielen unterschiedlich aus, wenn-
gleich Dibelius in der Festsitzung 1947 feststellen konnte: „In der Mehrzahl der Fälle
ist dies [sc. die erneute Mitgliedschaft] bereits gelungen.“
Wie die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung und ihrer Funktionseli-
ten stellte sich auch die Heidelberger Akademie ihrer Vergangenheit nur sehr selek-
tiv. Vorherrschend war offensichtlich die Überzeugung, standhaft geblieben und
Opfer geworden zu sein. Diese Reaktion auf das Dritte Reich artikulierte der Prä-
sident Dibelius in seinem Jahresbericht 1947: „Unsere Akademie hat sich auch in den
zwölf Jahren nicht für irgend eine politisch bedingte Arbeit missbrauchen lassen und
hat deswegen manche Anfechtung erfahren.“ ImVorwort zu dem Sammelband „Jah-
reshefte 1943/55“, der 1959 erschien, hieß es kryptisch: „Es erschien aus verschie-
denen Gründen nicht angebracht, über die letzten beiden Jahre vor dem Zusam-
menbruch in extenso zu berichten.“
1955 wurde im Nachruf auf Erdmannsdörffer sein Versagen als Sekretär wenig-
stens angedeutet: „Der Entwicklung des Nationalsozialismus stand er mit vornehmer
Zurückhaltung und einer gewissen Resignation gegenüber.“ Dagegen fehlte im
Nekrolog auf Achelis 1964 jeder Hinweis auf seine Rolle im Dritten Reich. Im
Gegenteil: Der Nekrologschreiber Hans Schaefer berief sich auf das Urteil eines
„emigrierten Kollegen der Zeit von 1933“, Achelis sei „nicht fähig, etwas Häßliches
zu tun“. Im Nachruf auf Meyerhof, der nach 1945 der Bitte entsprochen hatte, seine