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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2009 — 2010

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IV. Veranstaltungen im Jubiläumsjahr
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Kirchhof, Paul: Symposium "Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre Begegnung in der Sprache"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66333#0374
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390 | VERANSTALTUNGEN

SYMPOSIUM
„Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre Begegnung in der Sprache.“ 1
29. bis 30. Mai 2009
Wenn Menschen sich begegnen, sprechen sie miteinander. Ein sprachloses Aufeinan-
dertreffen ist nicht menschlich. Doch ist der Sprechende sich nie gewiss, ob der
Angesprochene ihn so versteht, wie er sich mitzuteilen hofft. Das gilt für das
Gespräch zwischen Eltern und Kindern, Lehrer und Schüler, Professor und Student
oder der Wissenschaftler untereinander. Je eigenständiger die Menschen ihre Erfah-
rungen und Einsichten gewinnen, desto mehr laufen sie Gefahr, die kulturellen
Grundlagen gemeinsamen Sprechens zu verlieren. Wenn der Wissenschaftler sich
immer mehr in seinem Fachgebiet vertieft, sein Beobachten und Verstehen in einer
eigenen Sprache ausdrückt, schränkt er damit die Verständigungsmöglichkeit mit
anderen Wissenschaften und mit der Gesellschaft ein.
Sprache ist Ausdruck des Denkens, der Stärke oder Schwäche einer Beobach-
tung, einer Einsicht, eines Willens; der Bereitschaft, dem anderen zu begegnen oder
Distanz zu wahren, ihn in die Gesellschaft einzubeziehen oder auszugrenzen, vom
anderen verstanden zu werden oder sich von ihm abzuheben.
Die Sprache wird auch durch ihren Gegenstand bestimmt. Wer über die Natur
spricht, denkt eher in Gesetzmäßigkeiten, wer über den Menschen spricht, eher in
Individualität, Freiheit und Willen. Richtet sich der Blick in die Vergangenheit,
spricht vor allem Erfahrung, Bewertung, Urteil. Blicken wir in die Zukunft, sprechen
wir in Erwartung, Angst oder Hoffnung. Die Alltagssprache handelt von Mensch-
lichem und Üblichem, Vertrautem und Gewohntem. Philosophie und Theologie
suchen das den Menschen Übersteigende auszudrücken. Es gibt Sagbares und
Unsägliches, Zerbrechliches und Unverbrüchliches, Abstimmbares und Unabstimm-
bares.
Die Wissenschaft steht vor der Aufgabe, die einzelnen Fachdisziplinen unter-
einander, aber auch in der Begegnung mit der Gesellschaft sprechfähig zu halten. Die
Wissenschaften bestimmen mehr denn je unsere Art zu leben, können sie verbessern
und auch gefährden. Deswegen sucht der Mensch in eigener Sache, aber auch die
Politik in Verantwortung für das Gemeinwohl das Gespräch mit der Wissenschaft.
Würden Wissenschaft und Gesellschaft einander nicht mehr verstehen, würde die
Wissenschaft ein Stück ihrer Lehr- und Publikationsfähigkeit einbüßen, die Gesell-
schaft ihre Kulturfähigkeit und ihre demokratische Selbstbestimmung verringern.
Wir müssen trotz der atemberaubenden Erfahrung immer neuen Wissens, Denkens
und Urteilens in Sprache begegnungsfähig bleiben.

1 Der Bericht ist zugleich als Vorwort in der Publikation „Wissenschaft und Gesellschaft. Ihre
Begegnung in der Sprache“ erschienen, die die Vorträge des Symposiums wiedergibt. Hg. Paul
Kirchhof, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2010, ISBN: 978-3-8253-5753-5.
 
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