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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Sitzung der Math.-nat. Klasse am 25. Januar 2013
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Reski, Ralf: Moos als Modellsystem
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0042
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25. Januar 2013

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lionen Jahre. Damit lebte der letzte gemeinsame Vorfahre von Arabidopsis und
Physcomitrella zur selben Zeit wie der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und
Fisch. Im Gegensatz zu allen bisher untersuchten Pflanzen können im Moos ähnlich
wie in der Hefe Gene gezielt durch effiziente Homologe Rekombination modifi-
ziert werden. Mit dieser Technik bestimmten wir erstmals bei Pflanzen die Funktion
eines Genes durch knockout (Reverse Genetik) und gleichzeitig das erste für die Tei-
lung eines eukaryotischen Organells (Mitochondrien, Plastiden) verantwortliche
Protein (FtsZ, Strepp et al. 1998). Die FtsZ Proteine sind evolutionäre Vorfahren des
Tubulins und bilden Netzwerke aus, was uns veranlasste, ein neues Konzept vorzu-
schlagen, wie Plastiden ihre Form verändern und sich teilen (Kiessling et al. 2000).
Nachfolgend entdeckten Andere, dass auch Bakterien, die evolutionären Vorläufer
der Mitochondrien und Plastiden, ein Zytoskelett enthalten. Wir konnten das Moos-
genom als erstes Genom einer Niederen Pflanze komplett entschlüsseln und damit
Erkenntnisse über die Evolution der Landpflanzen gewinnen (Rensing et al. 2008).
Darauf aufbauend wählte das US-amerikanische Energieministerium das Moos-
genom als „Flaggschiff-Genom“ aus, da es sich hiervon Lösungen für den globalen
Klimawandel verspricht.
Seit dem Nobelpreis für Mello und Fire ist weithin bekannt, dass kleine nicht-
kodierende RN As Genaktivitäten regulieren. Am Modellsystem Fadenwurm zeigten
diese Autoren (Fire et al. 1998), dass solche RNAs die Translation von mRNAs in
Proteine verhindern. Im Moos existiert dieser Mechanismus ebenfalls. Darüber hin-
aus fanden wir, dass unter Stress nicht nur die Translation behindert wird, sondern
auch wesentlich direkter die Transkription einiger Gene: Eine Klasse kleiner RNAs,
die microRNAs, induzieren unter bestimmten physiologischen Bedingungen die
Methylierung spezifischer Gene und damit ihre Inaktivierung (Khraiwesh et al.
2010). Dieser neu entdeckte Mechanismus der Genregulation wird zunehmend auch
im Kontext menschlicher Krankheiten wie Depression und Krebs diskutiert. Im
größeren Zusammenhang gehört unser Befund in den Bereich der Epigenetik und
verbindet so die Evolutionstheorie Darwins mit den Postulaten von Lamarck (1744—
1829), der von einer Vererbung erworbener Eigenschaften überzeugt war.
Zunehmend mehr Medikamente basieren auf Biotechnologie. Für die Pro-
duktion einfacher Proteine wie Insulin genügen Bakterien, während komplexe
Proteine wie Antikörper in tierischen Zellkulturen hergestellt werden. Wir konnten
verschiedene menschliche Proteine, die auch als Medikamente infrage kommen, in
Moos produzieren (Übersicht in Decker und Reski 2007). Eines dieser potentiellen
Biopharmaka ist der Faktor H des menschlichen Komplementsystems (Büttner-
Mainik et al. 2011), der im Immunsystem eine Rolle spielt und kürzlich den
„orphan drug“ Status der EU bekam, da tierische Zelllinien ihn bisher nicht produ-
zieren können.
Während in Zoologie und Medizin seit Langem mit verschiedenen Modell-
systemen wie Hefe, Fadenwurm, Fruchtfliege, Zebrafisch und Hausmaus gearbeitet
wird, hat in der Botanik die Etablierung eines neben Arabidopsis alternativen Modell-
systems mehr Zeit gekostet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Anwendungs-
beispiele haben jedoch ihre Bedeutung über die Pflanzenwissenschaften hinaus.
 
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