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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
DOI Kapitel:
Wissenschaftliche Sitzungen
DOI Kapitel:
Öffentliche Gesamtsitzung an der Universität Ulm am 14. Dezember 2013
DOI Artikel:
Debatin, Klaus-Michael: Ethische Fragen der modernen Medizin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0098
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14. Dezember 2013

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2. Patientensouveränität, Entscheidungsfreiheit, Patientenwohl, Einwilligungsfähigkeit
vs. Nicht-Einwilligungsfähigkeit
Grundsätzlich ist jeder Mensch souverän in seinen Entscheidungen und kann nach
entsprechender Aufklärung auch darüber entscheiden, ob und welche medizinische
Behandlung er für sich in Anspruch nehmen möchte. Diese Entscheidungsfreiheit
des Patienten wird lediglich durch bestimmte gesetzliche Rahmenbedingungen und
insbesondere durch die Freiheit eingeschränkt, ob gegebenenfalls die Kosten einer
Behandlung von den Krankenkassen übernommen werden. Ganz anders sieht die
Situation bei sogenannten „Nicht-Einwilligungsfähigen“ aus. Dazu gehören
grundsätzlich Kinder, wobei sich die Frage stellt, bis zu welchem Alter sie nicht-ein-
willigungsfähig sind, oder andere Personen, für die eine andere Person entscheiden
muss. Das Thema „Patientenverfügung“ per se möchte ich an dieser Stelle nicht
behandeln. In unserem täglichen Alltag als Kinder- und Jugendmediziner ist aber
völlig klar, dass wir es im Prinzip mit Entscheidungsträgern, den Eltern, zu tun
haben, die an Kindesstatt entscheiden. Aus dem möglichen Konflikt zwischen dem,
was ärztlicherseits geboten ist, und dem was Eltern für ihr Kind wollen, kann ein
besonderes Spannungsfeld entstehen. Denn im Unterschied zum erwachsenen Ein-
willigungsfähigen, der eine Therapie ablehnen kann, wird einem Kind bis zum
geschäftsfähigen Alter eine Einwilligungsfähigkeit abgesprochen. Allerdings wird
inzwischen auch Kindern und Jugendlichen eine gewisse Entscheidungsfreiheit
zugestanden. Daraus kann ein Konflikt im „Dreiecksverhältnis“ resultieren. Im Prin-
zip treffen aber die Eltern Entscheidungen an Kindesstatt. Dabei wird angenommen,
dass der Wille des Kindes, übrigens genauso wie bei einem nicht-einwilligungsfähi-
gen Angehörigen, von den nächsten Angehörigen repräsentiert wird. Dies kann im
Falle von Therapiefortsetzung oder Therapiebeendigung zu erheblichen Konflikten
führen.
Stellen Sie sich einen Patienten vor, der an einer Leukämie leidet, bei der wir
eine Spezialform festgestellt haben, die mit heutigen Methoden zu nahe 90% heil-
bar ist. Diese Therapie ist allerdings langdauernd und sehr eingreifend, die Medika-
mente haben erhebliche Nebenwirkungen. An der Therapie selbst kann der Patient
grundsätzlich versterben. Die Eltern lehnen eine Behandlung ab, da sie der Meinung
sind, Leukämie sei ohnehin nicht heilbar oder sie hätten im Internet von Wunder-
heilungen gehört oder würden jemanden kennen, der mit einfachen Pflanzen-
extrakten nebenwirkungsfrei von seiner Leukämie geheilt wurde. Die Eltern neh-
men das Kind gegen ärztlichen Rat aus der Klinik. Diese Fälle sind vorgekommen.
Das ethische Problem, das sich hier stellt, ist die Frage, ob Sie berechtigt oder gar ver-
pflichtet sind, die Eltern wegen unterlassener Hilfeleistung anzuzeigen und dafür zu
sorgen, dass das Kind gegebenenfalls mit rechtlichen Mitteln und Zwangsmaßnah-
men einer Therapie zugeführt wird, oder ob Sie angesichts einer Behandlung, die
über mehrere Monate außerordentlich intensiv in das Leben des Patienten und sei-
ner Familie angreift, diese Entscheidung nicht treffen können oder wollen.
Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass wir als Arzte in jedem Fall und immer
alles tun müssen, um einen Konsens an den Behandlungskonzepten zwischen unse-
 
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