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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Wissenschaftliche Sitzungen
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Veranstaltungen
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Mitarbeitervortragsreihe. „Wir forschen. Für Sie“
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Bolus, Michael: Die Erfindung der Kultur – Lebensweisen früher Menschen
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0114
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12. Juni 2013

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erlaubte ihnen so eine erweiterte und gezieltere Nutzung der Nahrungsressourcen.
Nur durch die Weitergabe und die Generationen übergreifende Tradierung kulturel-
ler Errungenschaften jedoch blieb einmal gesammeltes Wissen, blieben einmal
erworbene Fähigkeiten auch erhalten. Wahrscheinlich hat hier die zunehmende Ent-
wicklung der Sprache eine wichtige Rolle gespielt.
Einen weiteren großen Schritt sowohl in der menschlichen als auch in der kul-
turellen Evolution markieren die Neandertaler, deren Wiege in Europa liegt und die
über gut 200.000 Jahre ein Erfolgsmodell bildeten. Sie besiedelten größere Teile ihres
Heimatkontinents und verließen ihn, um auch den Nahen Osten und Zentralasien
in ihr Siedlungsgebiet einzubeziehen. In ihrer Spätphase sind sie sogar bis in das rus-
sische Altai-Gebiet vorgedrungen. Es liegt nahe, auch hier die Kultur als wichtige
Voraussetzung für die weite Verbreitung zu sehen. Der Werkzeugkasten der Neander-
taler war mit zahlreichen effektiven Werkzeugen gefüllt. Aus der Zeit der Neander-
taler kennen wir einige der ersten Bestattungen, die Einblick in die geistigen Vor-
stellungen dieser Menschenform gestatten. Für ein ausgeprägtes Sozialverhalten
spricht die Tatsache, dass Neandertaler Gruppenmitglieder, die nicht mehr selbst für
ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, versorgten und pflegten. Die Gründe für das
Ende der Neandertaler vor etwa 30.000 Jahren sind nach wie vor nicht eindeutig
geklärt; vermeintlich kulturelle Unzulänglichkeiten reichen als Erklärung nicht aus.
Noch während die Neandertaler ihr Siedlungsgebiet ausweiteten, betrat vor
etwa 40.000 Jahren mit den anatomisch modernen Menschen eine neue Menschen-
form Europa. Auch der moderne Mensch ist in Afrika entstanden. Früheste Nach-
weise in Äthiopien sind bis zu 200.000 Jahre alt. Betrachtet man ihre kulturellen
Hinterlassenschaften, so unterscheiden sich diese kaum von denen gleichzeitiger
Neandertaler in Europa. Biologische und kulturelle Evolution sind hier also nicht
parallel verlaufen. Erst vor etwa 100.000 Jahren treten in Israel im Zusammenhang
mit anatomisch modernen Menschen erstmals Schmuckobjekte in Form durchloch-
ter Schnecken und Muscheln auf; Belege aus Nord- und Südafrika sind etwa 20.000
Jahre jünger. Während sich auch hier die Steinartefakte nicht von denen der Nean-
dertaler unterscheiden, stellt doch der Schmuck ein weit gehend neues kulturelles
Element dar, das bei Neandertalern nur in Ausnahmefällen und praktisch nur in ihrer
Endphase auftritt. Hierdurch äußert sich bei den anatomisch modernen Menschen
erstmals ein symbolisches Denken, das wohl auch in einigen Objekten zum Aus-
druck kommt, die mit geometrischen Mustern verziert sind.
Dennoch ist es geradezu ein Quantensprung zu den Funden, die der anato-
misch moderne Mensch seit seiner Einwanderung nach Europa in Form der als
Aurignacien bezeichneten Kulturstufe hinterlassen hat. Wir finden nun das volle
Paket aller Merkmale, die unter dem Begriff der kulturellen Modernität zusammen-
gefasst werden. Neben mannigfachen neuen Werkzeugen aus organischen und stei-
nernen Rohmaterialien sowie einem intensiven Gebrauch von Farbpigmenten sind
dies eine Vielzahl an Schmuckobjekten, die jetzt auch dreidimensional geformt sind,
zahlreiche figürliche Kunstgegenstände und Malereien sowie Musikinstrumente.
Mehrere Innovationszentren in Europa sind erkennbar. Eines der wichtigsten liegt
auf der Schwäbischen Alb, andere lassen sich z.B. in Niederösterreich, Norditalien,
 
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