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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2013 — 2014

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I. Das akademische Jahr 2013
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Mitarbeitervortragsreihe. „Wir forschen. Für Sie“
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Dall'Asta, Matthias: Paparazzi des 16. Jahrhunderts: Melanchthons Briefwechsel und die ungeschminkte Wahrheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.55655#0123
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146

VERANSTALTUNGEN

3. Juli 2013
DR. MATTHIAS DALL’ASTA
Forschungsstelle „Melanchthon-Briefwechsel"
Paparazzi des 16. Jahrhunderts.
Melanchthons Briefwechsel und die ungeschminkte Wahrheit
„Bin auch ich ein ‘Paparazzo’?“ Mit dieser das eigene Gewissen erforschenden Frage
sieht sich gelegentlich auch der Bearbeiter oder Herausgeber älterer Texte konfron-
tiert, und zwar spätestens dann, wenn er in den Briefeditionen von Joachim Camera-
rius liest. Dort stößt er nämlich auf dessen Polemik gegen die überall herumschnüf-
felnden „Paparazzi“ avant la lettre, die aus Profitgier oder aus anderen zweifelhaften
Motiven bereits im 16. Jahrhundert rücksichtslos ans Licht zerren und zum Druck
befördern, was immer ihnen in die Hände fällt.1
Camerarius hat wenige Jahre nach Melanchthons Tod nicht nur eine umfang-
reiche Biographie dieses Humanisten und neben Luther einflussreichsten Reforma-
tors verfasst,2 sondern auch die an ihn gerichteten Briefe Melanchthons gewissen-
haft gesammelt und 1569 in einer chronologisch geordneten Ausgabe publiziert.3
Darin hat er die Briefe allerdings nicht immer wortwörtlich abgedruckt, sondern sie
redaktionell bearbeitet, da er es für schamlos hielt, alles unterschiedslos zu veröffent-
lichen, ohne auf die Privatsphäre und den Nachruhm seines lebenslangen Freundes
Rücksicht zu nehmen. Bis ins 20. Jahrhundert hinein waren Melanchthons 600 Brie-
fe an Camerarius daher nur in dessen geglätteter Fassung greifbar, die auch den
1834—1842 erschienenen zehn Bänden des Corpus Reformatorum zugrunde lag, die
Melanchthons Briefwechsel enthalten. Anlässe für inhaltliche Glättungen hat aber
nicht allein Camerarius verspürt, denn der Universalgelehrte Melanchthon besaß
durchaus auch eine irrationale Nachtseite. Einer seiner Biographen, Karl Hartfelder,
hat dies 1889 in ein schönes Bild gekleidet:
„ Während er zum großen Gelehrten heranreifte, der mit der Fackel der Vernunft
und Kritik in alle Winkel des wissenschaftlichen Gebäudes hineinleuchtete, blieb in
seinem eigenen Seelenleben ein dunkler Winkel, und in diesen flüchtete ein Rest von
mystischer Naturanlage und Grübelei.“4

1 Vgl. Gerlinde Huber-Rebenich: Officium amicitiae. Beobachtungen zu den Kriterien frühneuzeit-
licher Briefsammlungen am Beispiel der von Joachim Camerarius herausgegebenen Hessus-
Korrespondenz, in: Mentis amore ligati. Lateinische Freundschaftsdichtung und Dichterfreund-
schaft in Mittelalter und Neuzeit. Festgabe für Reinhard Düchting, hrsg. von Boris Körkel u.a„
S. 145—156, hier S. 150 und 155 Anm. 47.
2 Joachim Camerarius: De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo et morte, Leipzig
1566; dt. Übersetzung: Das Leben Philipp Melanchthons, iibers. von Volker Werner, mit einer
Einfg. und Anmerkungen von Heinz Scheible, Leipzig 2010 (= Schriften der Stiftung Luther-
gedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 12).
3 Liber continens continua Serie epistolas Philippi Melanchthonis scriptas annis XXXVIII ad
loach. Camerar. Pabep. nunc primum pio Studio et accurata consideratione huius editus, Leipzig
1569.
4 Der Aberglaube Philipp Melanchthon's, in: Historisches Taschenbuch 8 (1889), S. 231—269, hier
S. 269.
 
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