II. Wissenschaftliche Vorträge
ihre Legitimität zu erweisen hatten, entwickelte sich Frömmigkeit - namentlich in
ihrem intensivsten Verdichtungszustand, der Demut - zur zentralen Herrschertu-
gend und wurde zu zahllosen Gelegenheiten und in unterschiedlichsten Formen
öffentlich demonstriert. Frömmigkeit und Demut avancierten dabei zum integra-
len Bestandteil der herrscherlichen imago. Sie schränkten allerdings den Aktionsra-
dius der Kaiser keineswegs ein, sondern - ganz im Gegenteil - stellten ihnen neue
Handlungsoptionen zur Verfügung (z. B. bei der kollektiven Bewältigung katast-
rophaler Ereignisse wie Erdbeben), die insgesamt ein solides Fundament für die
Ausübung von Herrschaft generierten.
Die zweite Phase (spätes 5. Jh.) konfrontiert uns mit einem Kaisertum in Kon-
stantinopel, das trotz der skizzierten Stabilisierungsmechanismen als Institution in
eine temporäre Bedrohungssituation geraten ist, weil spezifische außenpolitische
Konstellationen sich auch auf die inneren Verhältnisse auswirkten. Letztere sind
gekennzeichnet von extremen politischen Turbulenzen, Verwerfungen innerhalb
der oströmischen Führungseliten und einem insgesamt auffallend hohen Maß an
Illoyalität selbst innerhalb der kaiserlichen Familie. Diese neuen Rahmenbedin-
gungen rissen das Kaisertum im ausgehenden 5. Jh. in eine existenzielle struktu-
relle Krise, die insbesondere aus der Erkenntnis resultierte, dass Herrschaft über
Römer auch ohne einen römischen Kaiser möglich war (als Reaktion auf das Ende
des Kaisertums im Westen im Jahr 476). Fortan kam es zu einem erbitterten Rin-
gen ambitionierter Individuen um politischen Einfluss im Oströmischen Reich.
Lediglich durch kontingente Faktoren und energische Konsolidierungsmaßnah-
men (seit Anastasios [491-518]) gelang es, die Kontinuität des Kaisertums zu
sichern.
Diese Konsolidierungsbemühungen, Kennzeichen der dritten Phase (6. Jh.),
führten einmal mehr zu erheblichen Veränderungen der oströmischen Monar-
chie. Denn ihr Kernelement bestand in einer nochmals verstärkten Sakralisierung
(und damit Immunisierung) des Kaisertums. Diese tritt besonders unter Justini-
an (527 - 565) hervor und gewann bei ihm - u. a. als Antwort auf schwere Be-
drängnisse (Naturkatastrophen, Kriege, Kaiserkritik), aber auch als Folge der sog.
Liturgisierung (eine spezifische Form religiöser Durchdringung der gesamten Le-
benswelt, die seit Mitte des 6. Jh. um sich greift) - eine bisher ungekannte Qua-
lität, die in offenen Parallelisierungen von Kaiser und Christus gipfelte. U. a. die
Pesterkrankung Justinians und die schwere Krankheit seines Nachfolgers Justin II.
(565-578) verdeutlichten den Zeitgenossen jedoch, dass Anspruch und Realität
immer weiter auseinanderklafften - die Konsolidierung des Kaisertums mündete
somit in dessen Hypersakralisierung (aus zeitgenössischer Perspektive) ein; nach
anfänglicher Kritik an der mit der Sakralisierung einhergehenden Autokratisierung
der Herrschaft entlud sich der zunehmend verbreitete Unmut schließlich in den
brutalen Kaisermorden der Jahre 602 (Maurikios) und 610 (Phokas).
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ihre Legitimität zu erweisen hatten, entwickelte sich Frömmigkeit - namentlich in
ihrem intensivsten Verdichtungszustand, der Demut - zur zentralen Herrschertu-
gend und wurde zu zahllosen Gelegenheiten und in unterschiedlichsten Formen
öffentlich demonstriert. Frömmigkeit und Demut avancierten dabei zum integra-
len Bestandteil der herrscherlichen imago. Sie schränkten allerdings den Aktionsra-
dius der Kaiser keineswegs ein, sondern - ganz im Gegenteil - stellten ihnen neue
Handlungsoptionen zur Verfügung (z. B. bei der kollektiven Bewältigung katast-
rophaler Ereignisse wie Erdbeben), die insgesamt ein solides Fundament für die
Ausübung von Herrschaft generierten.
Die zweite Phase (spätes 5. Jh.) konfrontiert uns mit einem Kaisertum in Kon-
stantinopel, das trotz der skizzierten Stabilisierungsmechanismen als Institution in
eine temporäre Bedrohungssituation geraten ist, weil spezifische außenpolitische
Konstellationen sich auch auf die inneren Verhältnisse auswirkten. Letztere sind
gekennzeichnet von extremen politischen Turbulenzen, Verwerfungen innerhalb
der oströmischen Führungseliten und einem insgesamt auffallend hohen Maß an
Illoyalität selbst innerhalb der kaiserlichen Familie. Diese neuen Rahmenbedin-
gungen rissen das Kaisertum im ausgehenden 5. Jh. in eine existenzielle struktu-
relle Krise, die insbesondere aus der Erkenntnis resultierte, dass Herrschaft über
Römer auch ohne einen römischen Kaiser möglich war (als Reaktion auf das Ende
des Kaisertums im Westen im Jahr 476). Fortan kam es zu einem erbitterten Rin-
gen ambitionierter Individuen um politischen Einfluss im Oströmischen Reich.
Lediglich durch kontingente Faktoren und energische Konsolidierungsmaßnah-
men (seit Anastasios [491-518]) gelang es, die Kontinuität des Kaisertums zu
sichern.
Diese Konsolidierungsbemühungen, Kennzeichen der dritten Phase (6. Jh.),
führten einmal mehr zu erheblichen Veränderungen der oströmischen Monar-
chie. Denn ihr Kernelement bestand in einer nochmals verstärkten Sakralisierung
(und damit Immunisierung) des Kaisertums. Diese tritt besonders unter Justini-
an (527 - 565) hervor und gewann bei ihm - u. a. als Antwort auf schwere Be-
drängnisse (Naturkatastrophen, Kriege, Kaiserkritik), aber auch als Folge der sog.
Liturgisierung (eine spezifische Form religiöser Durchdringung der gesamten Le-
benswelt, die seit Mitte des 6. Jh. um sich greift) - eine bisher ungekannte Qua-
lität, die in offenen Parallelisierungen von Kaiser und Christus gipfelte. U. a. die
Pesterkrankung Justinians und die schwere Krankheit seines Nachfolgers Justin II.
(565-578) verdeutlichten den Zeitgenossen jedoch, dass Anspruch und Realität
immer weiter auseinanderklafften - die Konsolidierung des Kaisertums mündete
somit in dessen Hypersakralisierung (aus zeitgenössischer Perspektive) ein; nach
anfänglicher Kritik an der mit der Sakralisierung einhergehenden Autokratisierung
der Herrschaft entlud sich der zunehmend verbreitete Unmut schließlich in den
brutalen Kaisermorden der Jahre 602 (Maurikios) und 610 (Phokas).
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