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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2014
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Maul, Stefan M.: Hundert Jahre Assur-Forschungen: Tagung der Forschungsstelle „Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur“ vom 10. bis 11. Oktober 2014
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0104
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III. Veranstaltungen

„Hundert Jahre Assur-Forschungen"
Tagung der Forschungsstelle „Edition literarischer Keilschrifttexte aus Assur"
vom 10. bis 11. Oktober 2014
Vor 100 Jahren, im Sommer 1914, wurden die Ausgrabungen der Deutschen Orient-
Gesellschaft in Assur beendet, die mehr als zehn Jahre zuvor, im Sommer 1903,
unter der Leitung von dem damals gerade 28jährigen Architekten, Archäologen
und Künstler Walter Andrae aufgenommen worden waren.
Mit den Ausgrabungen in Assur setzte Walter Andrae völlig neue und zu-
kunftsweisende Standards in der Geschichte der Vorderasiatischen Archäologie.
Die Grabungen zielten nicht darauf, Kunstwerke und Artefakte für die Museen
Europas zu gewinnen. Andrae wollte erstmals in der Geschichte des Faches das
gesamte Gefüge einer altorientalischen Stadt erschließen. So ergrub er nicht al-
lein die Tempel- und Palastbezirke der am Tigris gelegenen Hauptstadt des as-
syrischen Reiches. Er ließ auch das gesamte antike Stadtgebiet systematisch mit
breiten Suchgräben durchziehen und brachte auf diese Weise eine kaum zu über-
schauende Menge von Befunden ans Licht, die von den Lebensbedingungen der
gesamten Stadtbevölkerung Auskunft geben können, von arm und reich, von Kö-
nigen und Mächtigen, von reichen Kaufleuten und einflussreichen Gelehrten, von
Arbeitern, Witwen, Waisen und Sklaven. Bei den Ausgrabungen kamen Reste der
Tempel, Paläste und Wohnviertel, die das Stadtbild geprägt hatten, ebenso zutage,
wie Gräber und Grüfte, Befestigungsanlagen, Straßen, Plätze und Hafenkais. Da-
bei wurden auch etwa 5.300 beschriftete Objekte gefunden, darunter gestempelte
und handbeschriebene Ziegel, Steintafeln und Tonzylinder mit Königsinschriften,
sowie Bruchstücke von steinernen Monumenten und Reliefs. Darüber hinaus
fanden sich mehr als 11.000 Tontafeln und Tafelbruchstücke, die aus dem langen
Zeitraum vom 26. Jahrhundert v Chr. bis zum Untergang der assyrischen Stadt
im ausgehenden 7. Jh. vor unserer Zeit stammen. Zu dem in Assur gefundenen
Schrifttum zählen nicht allein die zahlreichen „literarischen“ Keilschrifttexte, de-
ren Veröffentlichung sich unsere Forschungsstelle widmet, sondern auch umfang-
reiche Archivbestände, in denen sich keilschriftliche Dokumente der assyrischen
Tempel-, Palast-, Provinz- und Reichsverwaltung sowie Zeugnisse privatwirt-
schaftlicher Aktivitäten erhalten haben.
Die Arbeit an den für die Geschichte und Kulturgeschichte des Alten Orients
so bedeutsamen Funden und Befunden währt bis in die Gegenwart fort, aber nicht
allein wegen ihrer ungeheuren Vielfalt, sondern auch weil die von Walter Andrae
und seinen Mitarbeitern angelegten Grabungsdokumentationen mit solcher Ak-
kuratesse zusammengestellt wurden, dass sie bis heute als vorbildlich gelten und so
immer noch mit großem Gewinn ausgewertet werden können. Es bedarf in der Tat
der Zeit, um - wie Walter Andrae in seinen Lebenserinnerungen schrieb - „an den

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