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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
DOI Kapitel:
12. Wissen(schaft), Zahl und Macht
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0280
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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

Sinnbildlichen Ausdruck findet der Anspruch einer fakten- und evidenzba-
sierten Entscheidungsfindung im Bemühen um „Quantifizierung“, die sich in der
Bedeutung der Statistik für die zeitgenössische Politik manifestiert. So zählen heu-
te detaillierte zahlenbasierte Analysen und Folgenabschätzungen (impact assessments')
mit ihrem Anspruch, die möglichen Wirkungen einer bestimmten Entscheidung
oder eines Gesetzesprojektes möglichst genau zu bestimmen und in messbarer
Form zum Ausdruck zu bringen, zu alltäglichen Begleitern des politischen Ge-
schäfts. Diesem Bemühen um Quantifizierung von Wirkungen entspricht das
Verlangen, auch Ziele bestimmter Politiken in Zahlen zu fassen, beispielsweise in
Gestalt der Formulierung von Quoten, Steigerungsraten oder Schwellenwerten,
deren Erreichung beziehungsweise Nichterreichung dann als Maßstab für Erfolg
und Misserfolg dient. Die potentiellen Vorteile einer solchen an Zahl und Maß
orientierten Politik liegen auf der Hand: Sie verheißt Objektivität, Messbarkeit
und Überprüfbarkeit, und kommt damit Forderungen der Qffentlichkeit nach ei-
ner transparenten und nachvollziehbaren Politikgestaltung nach.
So überzeugend diese Vorteile indes auch sein mögen, so gilt es auch die
Grenzen und potentiellen Gefahren eines hochgradig quantifizierenden, „ver-
wissenschaftlichten“ Zugangs zur Politik und deren Gestaltung zu erkennen.
Abgesehen von der prinzipiellen Fehlbarkeit und Vorläufigkeit jeder auch noch
so fundiert erscheinenden statistischen Methode oder Maßgröße, geht der Fokus
der Politik auf „Zahlen“ und „harte Fakten“ mit dem Risiko einer Vernachlässi-
gung qualitativer, nicht - oder zumindest nicht unmittelbar - messbarer Aspekte
einher. Allzu leicht kann das Erreichen von bestimmten Bezugsgrößen zu einem
Selbstzweck werden, der einer kritischen Weiterentwicklung des jeweiligen Poli-
tikfeldes mehr hinderlich als nützlich ist, und die Politik zu einem Getriebenen
der von ihr selbst propagierten Richtgrößen werden lässt. Zugleich droht auch
eine gewisse Selbstgenügsamkeit der Politik, sobald Referenzwerte erreicht wer-
den, beziehungsweise werden solche von vornherein bewusst wenig ambitioniert
formuliert, sodass „politischer Erfolg“ gewiss scheint. Hinzu kommt, dass Ratio-
nalisierung und Quantifizierung einen technokratischen Politikstil befördern, der
den individuellen Bürger und seine Bedürfnisse zugunsten abstrakter Zahlen und
komplexer Messkategorien aus dem Blick zu verlieren droht, und der aufgrund
des zur Durchdringung jener Abstraktion und Komplexität vielfach nötigen Spe-
zialwissens auch dazu angetan ist, Politikferne und -abstinenz auf Seiten der Bür-
gerschaft zu vergrößern.
Politik und Wissenschaft - zumal quantifizierende - folgen darüber hinaus
deutlich unterschiedlichen System- und Funktionslogiken: Während erstere pri-
mär an der Mehrung und Sicherung von Herrschaftslegitimität interessiert ist, ste-
hen im Falle letzterer die Mehrung und Sicherung systematischen Wissens sowie
Erkenntnisgewinn im Mittelpunkt. Dies lässt sich zuspitzen auf den Gegensatz
„Macht vs. Wahrheit“. Die enge Interaktion zwischen Politik und Wissenschaft, so

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