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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2014 — 2015

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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II. Das WIN-Kolleg
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Sechster Forschungsschwerpunkt „Messen und Verstehen der Welt durch die Wissenschaft“
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15. Zählen und Erzählen – Spielräume und Korrelationen quantitativer und qualitativer Welterschließung
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https://doi.org/10.11588/diglit.55654#0292
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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses

15. Zählen und Erzählen - Spielräume und Korrelationen quantitativer
und qualitativer Welterschließung
Kollegiaten: Jun.-Prof. Dr. Claudia Lauer1, Dr. des. Jana Pacyna2
1 Deutsches Institut, Universität Mainz
2 DFG-Graduiertenkolleg 1662 „Religiöses Wissen“, Universität Tübingen
„Erzählen“ ist für unsere Welterschließung konstitutiv. Narrationen verleihen dem
Struktur, das vorher ungeordnet war: Sie erfassen vorgefundenes oder vorgegebe-
nes Geschehen und Wissen, fügen es in logische Ordnungs- und Handlungszusam-
menhänge und machen damit die Welt sinnvoll greif- und darstellbar. Als zentrale
Kulturtechnik und grundlegendes anthropologisches „Muster der Formgebung“
steht das Erzählen dabei kulturgeschichtlich in engem Zusammenhang mit nume-
rischem Wissen und dem Akt des Zählens. Die Ausdrücke „Zählen“ und „Erzäh-
len“, das belegen semantische Studien, setzen sowohl im Deutschen, Englischen
und Niederländischen, aber auch im Französischen, Italienischen und Spanischen
den numerischen Akt des Zählens und den deutenden Akt des Erzählens in direkte
begriffliche Relation. Dies weist nicht nur darauf hin, dass Aspekte quantitativer
und diskursiver Informationsvergabe essentiell Zusammenhängen. „Zählen“ und
„Erzählen“ teilen sich damit auch die Idee der Weltaneignung als „sprachlicher und
poetischer Akt“: In beiden Fällen wird „zergliedert, angeordnet, zusammengefasst,
aber ebenso auch selektiert und Bedeutsamkeit zugemessen.“1
Was als enger kulturgeschichtlicher Zusammenhang im Alltag ebenso wie in
der Kunst greifbar ist, ist v a. auch für die Wissenschaft relevant: In ihrem An-
spruch, Mensch und Welt verstehen zu wollen, greifen Natur- und Geisteswis-
senschaften bis hin zu den Gesellschaftswissenschaften und der Medizin auf die
Methodik des „Zählens und Erzählens“ zurück. Auf der einen Seite arbeiten sie
Aspekte, Daten, Fakten oder Symptome heraus, die numerisch mess- und quan-
tifizierbar sind. Auf der anderen Seite erzählen sie aber auch: Sie diskursivieren
und deuten das quantitative Material qualitativ im Rahmen von Interpretationen,
Auswertungen oder Diagnosen und tragen mit ihren Narrationen so zur individu-
ellen, gesellschaftlichen und kulturellen Sinnstiftung bei. Die einzelnen Diszipli-
nen weisen dabei den quantitativen und qualitativen Betrachtungsweisen deutlich
differierende Bedeutungen zu. Zugleich offenbart ihr wissenschaftliches Vorgehen
auch unterschiedliche methodische Spielräume, die grundlegende Fragen nach
dem methodischen Zusammenspiel und Erkenntnisgewinn aufwerfen: In welcher
Relation stehen die Methoden des „Zählens“ und „Erzählens“ jeweils zueinander?
Wo und wie geht das eine in das andere über? Und wo bleiben letztlich auch un-

1 Wedelt, Moritz: Zählen. Semantische und praxeologische Studien zum numerischen Wissen
um Mittelalter. Göttingen 2011, S. 13.

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