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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2015 — 2016

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2015
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II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Maul, Stefan M.: Politikberatung im Alten Orient oder Von Sinn und Unsinn der Prognostik
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https://doi.org/10.11588/diglit.55653#0042
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II. Wissenschaftliche Vorträge

wegung bilden. Einzeln oder viel besser noch im Verbund beobachtet, lassen sie
für den altorientalischen Menschen deshalb in der Gegenwart eine Hochrechnung
des Zukünftigen als möglich erscheinen. Die Bewegung des Ganzen hin auf das
Kommende ist, wie es etwa Wachsen und Werden in der Natur, der Wechsel von
Tag und Nacht, der Jahresablauf und der gestirnte Himmel zeigen, von Gesetzmä-
ßigkeit, von großer Harmonie geprägt und wird als solche wahrgenommen. Jede
Abweichung vom Regelmaß in der Natur galt hingegen in dem, zumindest aus
unserer Perspektive, geradezu aberwitzig anthropozentrischen Weltbild, das der
altorientalischen Zukunftsschau zugrunde liegt, als eine vom Menschen hervorge-
rufene Störung, oder genauer gesagt als eine Reaktion auf menschliches Handeln
und wohl auch Wollen. Abweichungen vom Regelmaß wie z. B. Auffälligkeiten
bei Pflanzen und Tieren, am gestirnten Nachthimmel oder eben auch auf der
Oberfläche einer Schafsleber, wurden in diesem Sinne als Botschaft an den Men-
schen wahrgenommen, die nach Innehalten, nach sich Besinnen und Korrektur
verlangen, damit die entstandene Unordnung beseitigt und die Harmonie wieder-
hergestellt werde. Die gegenwärtige Erfahrung des anthropogenen Klimawandels
eröffnet vielleicht hierauf eine neue Sicht, die uns erahnen lässt, welche ratio hinter
derartigen Vorstellungen steht.
Wie dem auch sei: Die grundlegende Überzeugung, dass der gesamte Kosmos
auf den Menschen ausgerichtet sei und mit ihm regelrecht interagiere, so will es
mir scheinen, beruhigte sich im Alten Orient einerseits in der scheinbar braven
Vorstellung von Göttern, die dem Menschen mit Vorzeichen gnädig Leitung ge-
ben. Andererseits aber beflügelte sie im Alten Orient einen bis zum Ende der Keil-
schriftkultur nie zur Ruhe gekommenen Forschergeist, der sich zum Ziel gesetzt
hatte, die Gesetzmäßigkeiten der Zeichenhaftigkeit der Welt offenzulegen und in
ganz unterschiedlichen Systemen wiederzuerkennen.
Im frühen ersten vorchristlichen Jahrtausend hatte sich neben der Lehre
von der Eingeweideschau die Lehre von der Bedeutung astraler Zeichen so weit
entfaltet, dass babylonische und assyrische Könige sich ihrer zu politischen Zwe-
cken systematisch bedienten. Denn der gestirnte Himmel, der Nacht für Nacht,
ganz anders als die Eingeweideschau, unerbeten Zeichen hervorbrachte, stellte in
Aussicht, Nacht für Nacht ohne Unterlass Auskunft über Kommendes geben zu
können. In neuassyrischer Zeit, im 7. vorchristlichen Jahrhundert, wurde deshalb
ganz Mesopotamien mit einem Netz von Beobachtungsstationen überzogen, die
unabhängig voneinander Berichte an den Königshof zu Ninive zu schicken hatten,
damit diese, um Täuschung und Irrtum zu vermeiden, dort abgeglichen und aus-
gewertet werden konnten. Vom Himmel als Abbild der weiten Erde wurden dabei
nicht etwa Aussagen über den Einzelnen, sondern über das gesamte Staatswesen,
ja sogar Auskünfte globaler Natur erwartet, die auch Prognosen über das Geschick
der benachbarten Feindesländer zuließen. Aus diesem Grund war die Astrologie
im Alten Orient von allerhöchstem politischen Interesse. Denn sie schien imstan-

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