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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

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C. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
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https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0260
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12. Wissen(schaft), Zahl und Macht (WIN-Programm)

1. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts hat die Verwendung von Zahlen in der Poli-
tik als Ausdrucksform von „Rationalisierung“ kontinuierlich zugenommen.
2. Die Objektivität von Zahlen ist illusorisch, da sowohl deren Produktion als
auch Anwendung stets von exogenen Faktoren bestimmt sind.
3. Je komplexer und kulturell heterogener ein politisches System, desto größer
ist die Neigung, auf wissenschaftliche Expertise und insbesondere Zahlen zu-
rückzugreifen.
Die Teilnehmer hatten während der Workshops Gelegenheit, ihre eigenen
Teilforschungsprojekte in Kurzvorträgen zu präsentieren und konkrete Heraus-
forderungen und Probleme mit den Kollegen zu diskutieren. Alle Vortragenden
erhielten zudem von einem dazu bestimmten Discussant ein strukturiertes Feed-
back zu ihren jeweiligen Forschungsvorhaben.
Am letzten Tag der Tagung kamen die Teilnehmer abermals im Plenum zu-
sammen, um die Erkenntnisse der einzelnen Workshops gemeinsam zu diskutieren
und für die Weiterentwicklung des Gesamtprojektes und seines Erkenntnisinteres-
ses nutzbar zu machen.
In diesem Kontext gelangten die Teilnehmer erwartungsgemäß auch zu einem
differenzierten Abschlussbefund bezüglich der formulierten Arbeitshypothesen.
Die in der ersten Hypothese formulierte Annahme eines kontinuierlichen Anstie-
ges von Zahlen in der Politik wurde dahingehend relativiert, dass dieser - insge-
samt wohl zu konstatierende - Anstieg historisch betrachtet keineswegs linear
verlaufen sei, sondern sich vielmehr in Abhängigkeit von zeitspezifischen Um-
ständen entwickelt hätte. Zudem wurden Beispiele der jüngeren Vergangenheit
als Manifestation für gegenläufige Entwicklungen genannt, wenn etwa im Zusam-
menhang mit der Flüchtlings-, Finanz- und Wirtschaftskrise oder auch der Brexit-
Debatte in zunehmendem Maße gegen wissenschaftliche und nicht zuletzt auch
zahlenbasierte Studien öffentlich polemisiert werde und man deren Nutzen für
die praktische Politikgestaltung offen infrage stelle. Dies veranlasste Teilnehmer
dazu, von einer Re-Ideologisierung der gegenwärtigen Politik zu sprechen, die das
historische Kontinuitätsnarrativ infrage stellt.
Mit Blick auf die zweite Hypothese stimmten die Tagungsteilnehmer dahin-
gehend überein, das Objektivitätsversprechen von Zahlen in der Tat als illusorisch
zu erkennen. Allerdings wurde betont, dass dieses Versprechen in der politischen
und gesellschaftlichen Wahrnehmung beziehungsweise Debatte nach wie vor
wirkmächtig sei. Die Politik der Europäischen Union wurde hierbei als eine be-
sonders „zahlenanfällige“ politische Ebene ausgemacht, was durchaus nahe legt,
hierfür - in Übereinstimmung mit der dritten Hypothese - komplexitätssteigern-
de Umstände wie bestehende kulturelle und sprachliche Vielfalt verantwortlich zu
machen.

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