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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2016 — 2017

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
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II. Nachrufe
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Gade, Lutz H.: Günther Wilke (23.2.1925–9.12.2016)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55652#0326
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Nachruf auf Günther Wilke

bei dessen Emeritierung 1969. Eine solche Hausberufung war zur damaligen Zeit
von der Max-Planck-Gesellschaft eigentlich nicht vorgesehen und ein deutliches
Zeichen der Wertschätzung, die Günther Wilke mit seinen wegweisenden For-
schungsarbeiten in Fachkreisen genoss. Ähnlich wie zu Beginn seiner Karriere
spielte auch bei diesem Karriereschritt Karl Ziegler die Rolle des Förderers, der
die Berufung seines Nachfolgers in den Gremien der Max-Planck-Gesellschaft
durchsetzte. Bis zu seiner Emeritierung 1993 war Wilke Direktor des Max-Planck-
Instituts in Mülheim und Geschäftsführer der damit assoziierten Studiengesell-
schaft Kohle.
Die bereits angesprochene nickelkatalysierte Cyclisierung von Butadien bil-
dete für Günther Wilke den Ausgangspunkt eines systematischen Forschungs-
programms zur Synthese, Strukturchemie und Reaktivität einer großen Klasse
metallorganischer Nickelverbindungen, die heutzutage paradigmatischen Cha-
rakter hat. Hier entwickelte sich neben der in Deutschland damals dominieren-
den Schule des Pioniers der metallorganischen Chemie und Nobelpreisträgers
Ernst Otto Fischer (TU München) und seinen Schülern ein sehr origineller und
grundlegender Forschungsansatz. Dieser war nicht nur durch höchste technische
Ansprüche an die Synthese und Strukturaufklärung der neuartigen chemischen
Verbindungen charakterisiert, sondern hatte die systematische Untersuchung der
elementaren Reaktionsschritte der z. T. hochkomplexen Umwandlungen zum
Gegenstand. Eine Meisterleistung war die Aufklärung des Reaktionsmechanismus
der Butadien-Trimerisierung und ihre gezielte Weiterentwicklung zu einer selek-
tiven Dimerisierung des Diens zu 1,5-Cyclooctadien in Gegenwart von Phospha-
nen als Steuerliganden. Dies war eines der ersten Beispiele des gezielten Einsatzes
von Steuerliganden in dem noch sehr jungen Gebiet der homogenen Katalyse,
und Wilke hat die Etablierung und Weiterentwicklung dieses Konzepts der mole-
kularen Katalyse im Rückblick als seinen wichtigsten wissenschaftlichen Beitrag
bezeichnet. Die Strategie wurde von ihm und seinen Mitarbeitern ebenfalls erfolg-
reich zu einem sehr frühen Zeitpunkt - zu Beginn der 1970er Jahre - in der enan-
tioselektiven Katalyse angewandt, als diese noch in ihren Kinderschuhen steckte.
Alle diese Forschungsergebnisse werden heutzutage in den Lehrbüchern des Fachs
ausführlich behandelt.
In ihren chemischen Reaktionen verloren die von Wilke und Mitarbeitern
präparierten Olefin-Nickelkomplexe leicht die an das Metallatom gebundenen
Moleküle (Liganden) und verhielten sich in dieser Hinsicht so, als wenn die (in
kondensierter Phase nicht fassbaren) isolierten Nickelatome reagierten. Aufgrund
dieser Eigenschaft der Komplexe, wie Einzelatome zu reagieren, gab Günther Wilke
der Substanzklasse die einprägsame Bezeichnung „nacktes Nickel“. Dieser Begriff
fand nicht nur Eingang in die Lehrbücher der metallorganischen Chemie, sondern
veranlasste einen Kollegen aus den USA zu der Bemerkung, dass Wilke „the man
who brought sex into chemistry“ sei, eine Etikettierung, die ihn amüsierte.

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