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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
A. Das akademische Jahr 2017
DOI Kapitel:
II. Wissenschaftliche Vorträge
DOI Artikel:
Zimmermann, Bernhard: Mosaiksteinchen der Literaturgeschichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0051
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Bernhard Zimmermann

Schnell versteckt er Helena in einem Korb - hier treffen wir zum ersten Mal auf
diesen Bühnenslapstick - und verwandelt sich in einen Widder. Die Verwandlung
kann aber nicht ganz geglückt sein, wie Fr. 45 nahelegt: „Der Idiot läuft herum und
schreit »mäh, mäh« wie ein Schaf.“ Nun erscheint, alarmiert durch die anrücken-
den Griechen, der richtige Alexandros/Paris, entdeckt Helena und Dionysos und
will sie an die Griechen ausliefern. Doch angesichts der schönen Frau wird er von
Mitleid mit ihr gepackt und will sie zur Frau nehmen, während er Dionysos den
Griechen ausliefert. Die Satyrn, die den Chor bilden, begleiten ihren Herrn und
versprechen ihm, ihn nicht im Stich zu lassen.
Über die Handlung vor der Parabase lassen sich nur Mutmaßungen aufstel-
len. Man kann annehmen, dass dem Stück der aus dem Satyrspiel bekannte Topos
der Trennung der Satyrn von ihrem Herrn Dionysos zugrunde liegt. Dionysos
könnte im Prolog - vielleicht in einem Expositionsmonolog wie in Euripides’ Bak-
chen - den Grund für seine Anwesenheit in der Troas, die Suche nach den Satyrn,
bekanntgegeben haben. Die Parodos, das Einzugslied des Chores, kann man sich
als rustikale Szene, dem euripideischen Kyklops vergleichbar, vorstellen. Hermes
erscheint, um Paris als Schiedsrichter im Schönheitswettbewerb der drei Göttin-
nen zu gewinnen, trifft aber auf Dionysos, der Hermes - wohl durch Bestechung
- dazu bringt, ihn die Rolle des Alexandros spielen zu lassen.
Im Dionysalexandros lehnt Kratinos sich deutlich an das Satyrspiel an: sowohl
in der Konzeption - der heroische Mythos wird in der bukolisch-animalischen
Welt der Satyrn angesiedelt - als auch in den dramatis personae (Dionysos, Satyrn).
Man kann die satyrspielhaften Elemente des Dionysalexandros als Bestreben des
Kratinos ansehen, das Repertoire der Gattung Komödie durch die Anlehnung an
eine andere Gattung zu ergänzen und etwas Neues, das die Gunst des Publikums
gewinnen soll, auf die Bühne zu bringen. Der Dionysalexandros ist aber trotzdem
eine Komödie, kein Satyrspiel oder Satyrspielkomödie, da sich auf dem Vehikel
der Satyrspielmotive und der sich an das Satyrspiel anlehnenden Konzeption der
Handlung ein komisches Spektakel entfalten konnte.
Das Spiel mit wechselnden Identitäten - Dionysos als Paris - wird dadurch
noch vielschichtiger, dass Kratinos „überzeugend“, wie im abschließenden Satz der
Hypothesis angemerkt wird, „durch Andeutungen“ in dieser Komödie den Poli-
tiker Perikies verspottet habe, weil dieser den Athenern den Krieg gebracht habe.
Wie diese Transparenz, dass hinter Dionysos/Paris der Politiker Perikies zu sehen
war, hergestellt wurde, lässt sich an den Fragmenten nicht ablesen; ebenso wenig
lässt sich entscheiden, ob die Anspielungen optischer Signale bedurften - etwa der
bekannten und häufig verspotteten zwiebelartigen Kopfform des Perikies - oder ob
sie allein durch die Bühnenhandlung und den Text deutlich wurden. Dass Feinde
das Land veiwüsten und der Protagonist Dionysos als Feigling charakterisiert wird,
kann ohne Schwierigkeiten mit der Situation Athens zu Beginn des Peloponnesi-
schen Kriegs und mit Perikies in Verbindung gebracht werden: die perikleische

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