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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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A. Das akademische Jahr 2017
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II. Wissenschaftliche Vorträge
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Gesamtsitzung am 22. Juni 2017 zu Ehren von Peter Graf Kielmansegg anlässlich seines 80. Geburtstages
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Cavuldak, Ahmet: Peter Graf Kielmansegg als Analytiker der Demokratie
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0082
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II. Wissenschaftliche Vorträge

gut gehen werde, dass die Diplomatie den Erfolg einbringen werde, oder ob er
fatalistisch gestimmt war und den Krieg, der auf die Dauer doch unvermeidlich
erschien, erwartete. Die Quellen erlauben es nicht, hier scharf zu unterschei-
den. Beide Stimmungen scheinen in wechselnder Stärke wirksam gewesen zu
sein.9 Hinter dem Versagen der konservativen Entscheidungselite macht Graf
Kielmansegg die strukturellen Schwächen des Wilhelminischen Reiches aus-
findig, die eine Konfliktverschärfung und -eskalation begünstigten, angefangen
mit dem politischen Integrationsproblem des Militärs. In der Summe lässt sich
wohl von einem angestauten Demokratisierungsproblem des Reiches sprechen,
das nach der Niederlage die Revolution gleichsam wie ein Dammbruch auf den
Plan rief. Nicht die Revolution sei Ursache für die Niederlage gewesen, schreibt
Graf Kielmansegg prägnant gegen die Dolchstoßlegende, sondern die Niederlage
Ursache der Revolution.10 Hier spricht und urteilt nicht nur der junge frühreife
Wissenschaftler - als das Buch erscheint, ist Graf Kielmansegg gerade einmal
31 Jahre alt -, sondern schon der politisch engagierte Bürger zu seinen Mitbür-
gern, in der Hoffnung, aus den Katastrophen der Geschichte lernen zu können.
Und die größte Lehre, die die Deutschen aus der katastrophalen Geschichte zie-
hen mussten, hieß „Demokratie“. So hat es durchaus seine innere Stimmigkeit,
dass Graf Kielmansegg nach seinem Versuch, den politischen Trümmerhaufen
der deutschen Geschichte intellektuell zu bewältigen, sich daranmachte, über
Herkunft und Zukunft der Demokratie nachzudenken.
Im Rückblick kann man nur darüber staunen, mit welcher Behändigkeit Graf
Kielmansegg der Übergang von der Gelehrtenschlacht um den Ersten Weltkrieg
in die ideengeschichtlichen Gefilde der Demokratie gelang. Wie so oft in der Ge-
schichte hat auch hier ein Zufall das Seine dazu beigetragen, damit aus dem jungen
Historiker ein großer Analytiker der Demokratie werden konnte; gemeint ist die
Begegnung Graf Kielmanseggs mit Eugen Kogon, dessen wissenschaftlicher Mit-
arbeiter er an der Technischen Hochschule Darmstadt 1963 wurde. Kogon war
zwar von Hause aus Soziologe, hatte aber einen politikwissenschaftlichen Lehr-
stuhl inne. Nach dem Krieg hat er als Überlebender von Buchenwald ein Buch
über die „organisierte Hölle“ der Konzentrationslager geschrieben, das den Deut-
schen endlich die Augen und Herzen öffnen sollte und ihm nebenbei einen trau-
rigen Ruhm bescherte.11 Als Kogon im Dezember 1987 starb, verabschiedete sich
Graf Kielmansegg von ihm mit einem Essay im Merkur, der sein traurigster und
schönster sein dürfte.12

9 Ebd., S. 12.
10 Ebd., S. 682.
11 Kogon, Eugen, 1946: Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, Mün-
chen, Karl Alber.
12 Graf Kielmansegg, Peter, 1988: Abschied von Eugen Kogon, in: Merkur, 42. Jahrgang, Heft 3,
S. 250-257.

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