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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
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II. Nachrufe
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Michaels, Axel: Heinrich Freiherr von Stietencron (18.6.1933–12.1.2018)
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https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0387
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D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe, Mitglieder

Philosophien anderer Kulturen nicht nur aus dem engen Blickwinkel der Fach-
disziplinen zu sehen, sondern sie in die europäischen Philosophien einfließen zu
lassen. Mit diesem transkulturellen Ansatz war er seiner Zeit weit voraus. Seine
große Sprachbegabung ließ ihn noch während des Studiums Altiranisch, Avestisch,
Tibetisch, Päli und andere mittelindische Sprachen wie ArdhamägadhI undjaina-
Mahärästri sowie Oriya lernen - eine Sprache, die er vornehmlich bei seinen For-
schungen in Orissa brauchte. Als Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen
Volkes ging er noch ein Jahr an die renommierte School of Oriental and African
Studies in London.
Neben seinen sprachlichen und wissenschaftlichen Wissbegierden verfolgte
er auch künstlerische und kunsthistorische Interessen, denn er arbeitete während
seines ganzen Studiums in den Werkstätten der Kunstakademie in München. Die
Todesanzeige zeigte eines seiner Bilder. 1965 schloss er seine universitären Studien
mit der Promotion und einer Dissertation, die den Einfluss aus dem Iran zugewan-
derter Priester auf den hinduistischen Sonnenkult zum Inhalt hatte. Sie wurde ein
Jahr später unter dem Titel „Indische Sonnenpriester: Sämba und die Säkadvipiya
Brähmana“ bei Harrassowitz verlegt. Das dafür verwendete altindische und avesti-
sche Quellenmaterial brachte ihn unweigerlich zu der umfangreichen, hauptsäch-
lich mythologischen Puräna-Literatur, zu deren Erforschung und Rehabilitierung
- lange Zeit galt diese Literatur unter westlichen Indologen als eher zweitrangig -
er in einem hohen Maße durch zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft
unterstützte Projekte (1982 bis 1988 und 1995 bis 2000) und die Herausgabe der
Reihe Puräna Research Publications beigetragen hat. Mit diesen Projekten zeigte
er, wie die puränische Literatur durch neue elektronische Hilfsmittel besser er-
schlossen werden kann, so dass er auch als indologischer Pionier auf dem Gebiet
der digitalen Texterfassungen gelten kann.
Zunächst ging von Stietencron aber für fünf Jahre (1965 bis 1970) als Assis-
tent von Herman Berger, ebenfalls von 1981 bis 2005 Mitglied der Heidelberger
Akademie der Wissenschaften, an das neu gegründete Südasien-Institut (SAI) der
Universität Heidelberg. Dort habilitierte er sich mit der 1972 auch bei Harras-
sowitz erschienenen Schrift „Gangä und Yamunä: Zur symbolischen Bedeutung
der Flussgöttinnen an indischen Tempeln“, in der er seine kunsthistorischen und
mythologischen Interessen zusammenbringen konnte. 1970 wurde ihm am SAI
der Aufbau einer Abteilung für indische Philosophie und Religionsgeschichte
übertragen. Im gleichen Jahr begann er im Rahmen eines der ersten DFG-Son-
derforschungsbereiche, dem Orissa-Projekt, mit seinen Arbeiten zur Kultur und
Geschichte des Jagannätha-Tempels in Puri (Orissa). Von 1999 bis 2005 wurde er
noch einmal Leiter eines zweiten DFG-Projekts über Tempel in Orissa. In all die-
sen Vorhaben zeigte er eine Vielseitigkeit, die religionshistorische, philologische,
ritualistische und mythologische Aspekte miteinander verwob.

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