Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2017 — 2018

DOI Kapitel:
D. Antrittsreden, Nachrufe, Organe und Mitglieder
DOI Kapitel:
II. Nachrufe
DOI Artikel:
Michaels, Axel: Heinrich Freiherr von Stietencron (18.6.1933–12.1.2018)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.55651#0388
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nachruf auf Heinrich Frhr. von Stietencron

Als er 1973 von einer seiner zahlreichen Forschungsreisen nach Indien - die
erste davon 1965 im VW-Bus - zurückkehrte, fand er zwei Rufe vor: einen auf eine
C3-Professur für indische Kunstgeschichte in Berlin und einen auf den hochan-
gesehenen und traditionsreichen Lehrstuhl für Indologie und Vergleichende Reli-
gionswissenschaft in Tübingen. Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass der
letztgenannte Lehrstuhl, für den er sich entschied, in seinem Todesjahr in seiner
Substanz gefährdet ist.
In Tübingen fand er den geeigneten Ort für seine Verbindungen zu anderen
Disziplinen. So arbeitete er unter anderem an dem von Hans Küng begründe-
ten Projekt Weltethos und dem in viele Sprachen übersetzten Band Christentum
und Weltreligionen mit. Als alleiniger oder Mit-Herausgeber legte er vielbeachtete
Bände zu „Angst und Gewalt“ (1979), „Dämonen und Gegengötter“ (1983), „Krieg
und Kultur“ (1986, Sonderband Saeculum), „Angst und Religion“ (1991) oder
„Representing Hinduism“ (1996) vor. Seine erstaunlich vielen Aufsätze spiegeln
dieses Themenspektrum und gehen weit darüber hinaus. Er berührte Themen des
Umweltschutzes, Fragen der religiösen Ethik, namentlich der Menschenrechte,
der religiösen Toleranz, der indischen Kunst oder des Mono- und Polytheismus.
Besondere Aufmerksamkeit erlangten seine Thesen zum Hinduismus, den er lie-
ber im Plural „Hindu-Religionen“ verstanden wissen wollte, weil der Singular ei-
ne Einheit vorgibt, die einer genauen Betrachtung nicht standhält.
2004 erhielt Heinrich von Stietencron als erster nicht-indischer Wissen-
schaftler vom indischen Präsidenten die Auszeichnung „Padma Shri“, die höchste
Auszeichnung des Landes, 2015 von der indischen Regierung die Auszeichnung
„Distinguished Indologist Award“. Er hatte viele ehrenvolle Ämter inne, so war er
in Tübingen Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften (1981-82), Präsident
der Deutschen Gesellschaft für Religionswissenschaft (1980-83), Gastprofessor
an der Temple University in Philadelphia (1983-84), am College de France in
Paris, oder am Wissenschaftskolleg in Berlin. Mehrfach präsidierte er Internati-
onalen Tagungen und wirkte seit 1979 als einer der Herausgeber der Zeitschrift
Saeculum.
Von Stietencron wurde von seinen Kollegen und Kolleginnen ob seiner wis-
senschaftlichen Neugier und Sensibilität, seines scharfen Verstandes und großen
Wissens, aber auch seines tiefsinnigen Humors und freundlichen Wesens ebenso
geschätzt wie von seinen zahlreichen Schülerinnen und Schülern. Seine Asche ist
bei seinem Elternhaus im Tessin, wohin es ihn immer wieder zog, beigesetzt.
Axel Michaels

389
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften