Mitarbeitervortragsreihe „Wir forschen. Für Sie'
„Als der Wolf noch böse war - Eine (Rechts-)Geschichte der Wölfe in
Deutschland und rund um Heidelberg"
Mitarbeitervortrag von Prof. Dr. Andreas Deutsch am 26. Juni 2019
Märchen wie „Rotkäppchen“ oder „Die sieben Geißlein“ zeugen von der gro-
ßen Angst der Menschen früherer Jahrhunderte vor dem Wolf. Er galt über die
Jahrhunderte hinweg als einer der größten Feinde des Menschen - und das nicht
ohne Grund, gab es doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zahlreiche Wölfe
auch in Deutschland und Mitteleuropa. Insbesondere in Kriegszeiten konnten sie
sich ungehindert vermehren und wurden so zur ernsthaften Bedrohung. In kalten
Wintern drangen sie zum Teil selbst in größere Städte ein. Rund um Dörfer und
Gehöfte suchten sie ihre Nahrung; so wurden selbst wehrlose Kinder zu blutigen
Opfern. Im schweren Winter 1814/15 kamen allein in der Region Posen 28 Kin-
der durch Wölfe zu Tode. Immer wieder wird auch von Überfällen auf Reisende
berichtet, von Wanderern, die sich — vor allem in der Dämmerung — plötzlich von
Wölfen umringt sahen. Nur manche konnten sich retten. So schrieb der Chu-
rer Pfarrer Tobias Egli dem bekannten Chronisten Johann Jakob Wick über einen
Vorfall im bitterkalten Januar 1571: ,,das[s] von Chur dry töchter, welche näyerin
[ = Näherinnen] gewäsen, uff Zizers zuo wollen, ... in dem syend uff der straass
ettlich wölffan sy kommen, sy angefallen, nidergrissen, ellenklich umbgebracht“.
Während dieser Vorfall nur durch die Chronik überliefert ist, lassen sich zahlreiche
andere Wolfsangriffe durch amtliche Berichte oder Kirchenbucheinträge belegen.
Wie viele Menschen in der deutschen Geschichte von Wölfen überfallen wurden,
ist indes unbekannt. Für Frankreich konnte der Historiker Jean-Marc Moriceau in
jahrelanger Forschungsarbeit zehntausend Wolfsangriffe auf Menschen nachwei-
sen. Noch im Jahr 1900 bezeichnete „Brehms Tierleben“ den Wolf als den „haupt-
sächlichsten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit“ für einige Regionen
Europas.
1. Gefahr für Hirten und Herde
Unbestritten greifen Wölfe nur in Ausnahmesituationen Menschen an, ihre
Hauptopfer waren stets die Tiere in Wald und Flur. In erster Linie waren die Wölfe
daher eine unerwünschte Konkurrenz bei der Jagd. Eine schwere Belastung vor
allem für die Landbevölkerung stellten zudem die zahlreichen Wolfsangriffe auf
Viehherden dar. Da Schafe, Schweine, Kühe und weitere Tiere früher, solange
es die Witterung irgend erlaubte, tags wie nachts auf den Weiden gehalten wur-
den, waren sie nur schwer vor den Wölfen zu schützen. Üblicherweise bestellten
und bezahlten die Bewohner eines Dorfs oder eines bestimmten Gebiets gemein-
schaftliche Hirten und Schäfer, die nötigenfalls rund um die Uhr bei den Herden
bleiben mussten - und die Verantwortung für die Herde trugen. Weil sich Hunde
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„Als der Wolf noch böse war - Eine (Rechts-)Geschichte der Wölfe in
Deutschland und rund um Heidelberg"
Mitarbeitervortrag von Prof. Dr. Andreas Deutsch am 26. Juni 2019
Märchen wie „Rotkäppchen“ oder „Die sieben Geißlein“ zeugen von der gro-
ßen Angst der Menschen früherer Jahrhunderte vor dem Wolf. Er galt über die
Jahrhunderte hinweg als einer der größten Feinde des Menschen - und das nicht
ohne Grund, gab es doch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zahlreiche Wölfe
auch in Deutschland und Mitteleuropa. Insbesondere in Kriegszeiten konnten sie
sich ungehindert vermehren und wurden so zur ernsthaften Bedrohung. In kalten
Wintern drangen sie zum Teil selbst in größere Städte ein. Rund um Dörfer und
Gehöfte suchten sie ihre Nahrung; so wurden selbst wehrlose Kinder zu blutigen
Opfern. Im schweren Winter 1814/15 kamen allein in der Region Posen 28 Kin-
der durch Wölfe zu Tode. Immer wieder wird auch von Überfällen auf Reisende
berichtet, von Wanderern, die sich — vor allem in der Dämmerung — plötzlich von
Wölfen umringt sahen. Nur manche konnten sich retten. So schrieb der Chu-
rer Pfarrer Tobias Egli dem bekannten Chronisten Johann Jakob Wick über einen
Vorfall im bitterkalten Januar 1571: ,,das[s] von Chur dry töchter, welche näyerin
[ = Näherinnen] gewäsen, uff Zizers zuo wollen, ... in dem syend uff der straass
ettlich wölffan sy kommen, sy angefallen, nidergrissen, ellenklich umbgebracht“.
Während dieser Vorfall nur durch die Chronik überliefert ist, lassen sich zahlreiche
andere Wolfsangriffe durch amtliche Berichte oder Kirchenbucheinträge belegen.
Wie viele Menschen in der deutschen Geschichte von Wölfen überfallen wurden,
ist indes unbekannt. Für Frankreich konnte der Historiker Jean-Marc Moriceau in
jahrelanger Forschungsarbeit zehntausend Wolfsangriffe auf Menschen nachwei-
sen. Noch im Jahr 1900 bezeichnete „Brehms Tierleben“ den Wolf als den „haupt-
sächlichsten Störer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit“ für einige Regionen
Europas.
1. Gefahr für Hirten und Herde
Unbestritten greifen Wölfe nur in Ausnahmesituationen Menschen an, ihre
Hauptopfer waren stets die Tiere in Wald und Flur. In erster Linie waren die Wölfe
daher eine unerwünschte Konkurrenz bei der Jagd. Eine schwere Belastung vor
allem für die Landbevölkerung stellten zudem die zahlreichen Wolfsangriffe auf
Viehherden dar. Da Schafe, Schweine, Kühe und weitere Tiere früher, solange
es die Witterung irgend erlaubte, tags wie nachts auf den Weiden gehalten wur-
den, waren sie nur schwer vor den Wölfen zu schützen. Üblicherweise bestellten
und bezahlten die Bewohner eines Dorfs oder eines bestimmten Gebiets gemein-
schaftliche Hirten und Schäfer, die nötigenfalls rund um die Uhr bei den Herden
bleiben mussten - und die Verantwortung für die Herde trugen. Weil sich Hunde
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