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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2019 — 2020

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A. Das akademische Jahr 2019
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III. Veranstaltungen
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Mittler, Barbara: Rudolf G. Wagner: ein Leben mit der Sinologie
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https://doi.org/10.11588/diglit.55176#0153
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Verleihung des Karl-Jaspers-Preises 2019

„You only grow by coming to the end of something and by beginning so-
mething eise“. Das schreibt John Irving in seinem Klassiker von 1978, The World
According to Garp. Vor nur wenigen Monaten, Ende Juni, und aus Anlass der Eröff-
nung des CATS (Centrum für Asienwissenschaften und Transkulturelle Studien),
haben wir Rudolf G. Wagner als fi'ii1hjftT maochao xuansheng suwang (den
im Dunklen verbleibenden ungekrönten König des CATS) geehrt. Er war, wenn
man so will, ein lebendiges Exemplar „transkultureller Dynamik“ - der Untertitel
des von ihm mitgegründeten Exzellenzclusters „Asien und Europa im globalen
Kontext.“ Er hat uns immer wieder dazu gebracht, unsere Visionen und Flugbah-
nen zu weiten, indem er einen Geist der Offenheit, der Diskussion und heftigen,
aber immer fairen Debatte gefördert hat.
Der Austausch mit Rudolf G. Wagner fand an vielen verschiedenen Orten statt
- am häufigsten einfach auf dem Flur, meistens in der Bibliothek, oder vor seinem
von Büchern vollgestopften Büro, wo er aus riesigen Stapeln dennoch immer ge-
nau das Passende zu finden in der Lage war, für jeden, so erstaunlich das sein mag,
auch wenn er den oder die er gerade erst kennengelernt hatte. Unsere Debatten
in seinem riesigen, aber übervollen Büro in der Akademiestraße, Raum 205, sind
mir noch besonders gut in Erinnerung. Dort trafen wir (d. h. seine ausgedehnte
Gruppe von Doktoranden und Postdoktoranden, gelegentlich auch Peter) jeden
zweiten Freitag von 16—18 Uhr zum Kolloquium zusammen, um über Herme-
neutik oder Religion in Taiwan, über postkoloniale Theorie und ihre Feinde oder
maoistische Guerillastrategien, über Text und Kommentar oder die Öffentliche
Sphäre in China und anderswo zu diskutieren, bis wir durch ein immer endgülti-
ges Schlusswort unterbrochen wurden: „Jetzt muss ich Sie rauswerfen, ich muss
Squash spielen gehen.“
Dann gab es die Begegnungen, die einmal im Semester in seinem schönen
Haus in Ziegelhausen stattfanden, mit dem spektakulären Blick auf Shari flj und
Shui tR, Berg und Fluss, immer begleitet von einer üppigen Auswahl an köstlichen
Speisen. Diese Begegnungen mündeten gewöhnlich in einem flotten, belebenden
Spaziergang im Wald hinter dem Haus, bei dem, ununterbrochen und intensiv
über jedermanns neueste Ideen und Projekte diskutiert wurde, Cathys Frage „Wo-
ran arbeitest du denn gerade?“ klingt mir noch deutlich im Ohr - und jedem,
egal wie divers die Themen auch waren, hatte Rudolf am Ende einen Lesevor-
schlag, ein Buch, eine Quelle auf den Weg mitgegeben (die er dann, wenn sie nicht
gleich in Heidelberg oder Umgebung zu finden war, kurzerhand in Harvard oder
Shanghai oder sonstwo scannte und einem unumwunden zuschickte): oft waren
es genau diese Quellen, Bücher, Zeitungsausschnitte, auf die er einen, immer wie
nebenbei, aber mit großer Weitsicht aufmerksam machte, die hinterher zum wich-
tigsten Bestandteil unserer Argumentationsketten wurden - die Tiefen und Weiten
seiner Gelehrsamkeit waren unergründlich.

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