B. Die Mitglieder
lateinische literarische, rhetorische und philosophische Kultur. Eine strukturell
einheitsbildende Gemeinsamkeit von griechischer und römischer Teilkultur der
Kaiserzeit sieht Dihle zudem in dem ausgeprägten Klassizismus, der auf beiden
Seiten darin zum Ausdruck kommt,127
„daß die Träger der Bildungstradition in dieser Epoche durchweg bemüht waren,
sich der moralischen und ästhetischen Richtwerte ihrer Existenz an den Hervor-
bringungen einer jeweils bestimmten Epoche der griechischen bzw römischen Ge-
schichte zu vergewissern ... Auf griechischer Seite war es die athenische Kultur des
5. und 4. Jh., die sowohl in ästhetisch-literarischer als auch in politisch-moralischer
Hinsicht als vorbildlich galt, während die Römer - oder besser: die latinisierten Be-
wohner der Westhälfte des Reiches - die lateinische Literatur von Cicero bis Vergil
und Horaz, Jedoch Staat und Gesellschaft Roms im zweiten punischen Krieg zu
unverrückbaren Orientierungsgrößen wählten.“
Die genannten historischen, literarhistorischen und mentalitätsgeschichtlichen
Voraussetzungen lassen das Unternehmen einer gemeinsamen Darstellung der
„griechischen und lateinischen Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justini-
an“ als historisch überaus angemessen erscheinen, auch wenn die Fülle zu berück-
sichtigender Autoren und Texte zunächst abschreckend wirkt - zumal dann, wenn
man wie Dihle neben der schönen Literatur auch Grammatik und Rhetorik, Phi-
losophie, Fachwissenschaften und zunehmend auch die Patristik, d. h. die antike
christliche Theologie einbezieht. Die Überfülle des Stoffes bewältigt Dihle mittels
der bereits im ersten Band seiner Literaturgeschichte bewährten Form eines zu
kursorischer Lektüre bestimmten Lesebuches: Er erzählt Literaturgeschichte, re-
duziert das Eingehen auf Forschungskontroversen auf ein Minimum und wechselt
zwischen Überblickshaften und punktuell vertiefenden Abschnitten, deren Aus-
wahl seine eigenen, überaus weitgespannten Interessen widerspiegelt. Gleichwohl
wird der Leser, der unserer Darstellung von Dihles Werk bis hierher gefolgt ist,
natürlich die Frage aufwerfen: quid ad nos? Wie steht sein letztes großes Unterneh-
men zu den klassischen Texten, zu den dauerhaften Werten, die ihm einst Paul
Maas ans Herz gelegt hatte? Nach Dihles eigenen Worten sind ja in der gesamten
Kaiserzeit „verhältnismäßig wenige Werke entstanden, die man unter die großen
Hervorbringungen der Weltliteratur rechnen darf“.128 Warum stellt er dann sein
Können als Erzähler von Literaturgeschichte, das er im ersten Band (1967) den
großen Werken der archaisch-klassischen Literatur gewidmet hat, nunmehr in den
Dienst von Kaiserzeit und Spätantike?
Für die Beantwortung dieser Frage scheint uns entscheidend, dass das Römi-
sche Imperium in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit der wenn auch nicht ein-
zige, so doch primäre Missionsraum des Christentums war. Denn auf dieser Tatsache
127 Dihle 1989, 31—32. Zum kaiserzeitlichen Klassizismus vgl. auch Dihle 2004.
128 Dihle 1989,9.
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lateinische literarische, rhetorische und philosophische Kultur. Eine strukturell
einheitsbildende Gemeinsamkeit von griechischer und römischer Teilkultur der
Kaiserzeit sieht Dihle zudem in dem ausgeprägten Klassizismus, der auf beiden
Seiten darin zum Ausdruck kommt,127
„daß die Träger der Bildungstradition in dieser Epoche durchweg bemüht waren,
sich der moralischen und ästhetischen Richtwerte ihrer Existenz an den Hervor-
bringungen einer jeweils bestimmten Epoche der griechischen bzw römischen Ge-
schichte zu vergewissern ... Auf griechischer Seite war es die athenische Kultur des
5. und 4. Jh., die sowohl in ästhetisch-literarischer als auch in politisch-moralischer
Hinsicht als vorbildlich galt, während die Römer - oder besser: die latinisierten Be-
wohner der Westhälfte des Reiches - die lateinische Literatur von Cicero bis Vergil
und Horaz, Jedoch Staat und Gesellschaft Roms im zweiten punischen Krieg zu
unverrückbaren Orientierungsgrößen wählten.“
Die genannten historischen, literarhistorischen und mentalitätsgeschichtlichen
Voraussetzungen lassen das Unternehmen einer gemeinsamen Darstellung der
„griechischen und lateinischen Literatur der Kaiserzeit von Augustus bis Justini-
an“ als historisch überaus angemessen erscheinen, auch wenn die Fülle zu berück-
sichtigender Autoren und Texte zunächst abschreckend wirkt - zumal dann, wenn
man wie Dihle neben der schönen Literatur auch Grammatik und Rhetorik, Phi-
losophie, Fachwissenschaften und zunehmend auch die Patristik, d. h. die antike
christliche Theologie einbezieht. Die Überfülle des Stoffes bewältigt Dihle mittels
der bereits im ersten Band seiner Literaturgeschichte bewährten Form eines zu
kursorischer Lektüre bestimmten Lesebuches: Er erzählt Literaturgeschichte, re-
duziert das Eingehen auf Forschungskontroversen auf ein Minimum und wechselt
zwischen Überblickshaften und punktuell vertiefenden Abschnitten, deren Aus-
wahl seine eigenen, überaus weitgespannten Interessen widerspiegelt. Gleichwohl
wird der Leser, der unserer Darstellung von Dihles Werk bis hierher gefolgt ist,
natürlich die Frage aufwerfen: quid ad nos? Wie steht sein letztes großes Unterneh-
men zu den klassischen Texten, zu den dauerhaften Werten, die ihm einst Paul
Maas ans Herz gelegt hatte? Nach Dihles eigenen Worten sind ja in der gesamten
Kaiserzeit „verhältnismäßig wenige Werke entstanden, die man unter die großen
Hervorbringungen der Weltliteratur rechnen darf“.128 Warum stellt er dann sein
Können als Erzähler von Literaturgeschichte, das er im ersten Band (1967) den
großen Werken der archaisch-klassischen Literatur gewidmet hat, nunmehr in den
Dienst von Kaiserzeit und Spätantike?
Für die Beantwortung dieser Frage scheint uns entscheidend, dass das Römi-
sche Imperium in den ersten Jahrhunderten der Kaiserzeit der wenn auch nicht ein-
zige, so doch primäre Missionsraum des Christentums war. Denn auf dieser Tatsache
127 Dihle 1989, 31—32. Zum kaiserzeitlichen Klassizismus vgl. auch Dihle 2004.
128 Dihle 1989,9.
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