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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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II. Wissenschaftliche Vorträge

den Fleck zu teilen. Ignorieren die Advokaten der Identitätspolitik historische Ent-
wicklungen, indem sie vergangene Kulturen mit gegenwärtigen Wertmaßstäben
messen, so bleibt die Geschichte auch unterbelichtet, wenn kultur- und epochen-
übergreifende Werte geltend gemacht werden. Ein solcher Rückfall hinter Grund-
einsichten des Historismus verwundert nicht, wird der Historismus doch oft auf
eine Hochzeit des Positivismus verkürzt. Doch neben Paulys Realencyclopädie und
den Monumenta Germaniae historica stehen Droysens Historik und Diltheys Der Auf-
bau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften. Grundlage für die Historische
Schule und ihre enzyklopädische Erschließung der Vergangenheit ist die Annahme
der Geschichtlichkeit des Menschen. Der Historismus bietet nun keine Lösung
für gegenwärtige Probleme, doch wer seine Grundeinsichten ignoriert, zahlt einen
hohen Preis. Der Postkolonialismus nimmt selbst koloniale Züge an, wenn er bei
aller Sensibilität für andere Kulturen der Gegenwart die Vergangenheit mit den
eigenen Werten kolonialisiert.
Florian Steger
„Ludwig Heilmeyer (1899-1969) - Opportunismus und
Elitenkontinuität"
Impulsvortrag am Vorabend der Auswärtigen Sitzung in Ulm am 21. April 2023
Ludwig Heilmeyer wusste auf sich aufmerksam zu machen und ist auch weit über
seinen Tod hinaus Gesprächsthema. Die Meinungen über Heilmeyer waren und
sind kritisch-kontrovers. Dies ist vor allem auf sein Wirken und seine politischen
Ambitionen in der NS-Zeit sowie seine eigene Art der Vergangenheitsbewältigung
zurückzuführen. Aber auch seine Persönlichkeit und Aktivitäten in der frühen
Bundesrepublik tragen hierzu bei.
So kann man in „Die Welt" über ihn folgende kritische Würdigung lesen (F.
D.: L. Heilmeyer 70. In: Die Welt vom 06. 03. 1969): „Solange er in seiner Frei-
burger Klinik herrschte, verabscheute er das Department-System, die Abschaffung
des alten Liquidationsrechts, die Studienreform. Er hielt die verschlissene Fahne
,Macht und Mammon' hoch. Kaum war er emeritiert und zum Gründungsrektor
der Natuiwissenschaftlich-Medizinischen Universität Ulm erkoren, wurde er der
eifrigste Verfechter des neuen Systems. Er schaffte alles ab, was er jahrzehntelang
verteidigt hatte. Man hat ihm das sehr verübelt. Seine wissenschaftlichen Leistun-
gen werden aber auch von denen anerkannt, die ihm seine Ulmer Streiche nicht
verzeihen können (...) ein genialischer Heil-Meyer."
Heilmeyers Verhalten im Nationalsozialismus und vielmehr noch sein Han-
deln in der frühen Bundesrepublik sind kritisch zu beurteilen. Es stellen sich zahl-
reiche Fragen, vor allem ob Heilmeyer ein überzeugter Fanatiker oder Mitläufer,

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