Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

Zitierlink: 
https://digi.hadw-bw.de/view/jbhadw2023/0057
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Florian Steger

den, mutet eigen an. So wurde Heilmeyer schon während des Nationalsozialis-
mus von Zeitgenossen als Opportunist bezeichnet. Im Nachkriegsdeutschland
prägte er kein Unrechtsbewusstsein aus. Insofern kann von einer Vorbildfunkti-
on Heilmeyers keine Rede sein. Immerhin trat Heilmeyer freiwillig in das Frei-
korps Epp ein und schloss sich damit einer politischen Haltung an, die bei der
Ausübung von Gewalt keine Grenzen kannte. Er war seit 1933 in verschiedenen
Organisationen der NSDAP Mitglied. Als Funktionär engagierte sich Heilmeyer
in der SA und war verstrickt in den internen politischen Machtkämpfen der Na-
tionalsozialisten. Eine Mitgliedschaft in der NSDAP blieb ihm trotz intensiven
eigenen Bemühens aufgrund von Zwistigkeiten mit der Ortsgruppe Jena versagt.
Heilmeyers Persönlichkeit und damit sein ausgeprägter Opportunismus dürften
letztlich verhindert haben, dass er Funktionsträger des nationalsozialistischen Re-
gimes werden konnte - und dies obgleich er alles daran gesetzt hatte, dieses Ziel
zu erreichen. Er ergriff jede sich bietende Gelegenheit, wenn auch ohne großen
Erfolg. Entsprechend engagierte sich Heilmeyer nach der Machtübernahme Hit-
lers in verschiedenen NS-Organisationen. Ob sich Heilmeyer an Verbrechen ge-
gen die Menschlichkeit beteiligt hat, ist schwer zu sagen. Zweifelsohne hat er sein
ärztliches Fachwissen in den Dienst des NS-Staates gestellt und sich für dessen
Ziele eingesetzt. Ob Heilmeyer darüber hinaus auch unmittelbar an Humanexpe-
rimenten an ausländischen Zwangsarbeitern beteiligt war, ist von der Forschung
noch zu klären.
In der Nachkriegszeit setzte sich Heilmeyer in einer Stellungnahme für ei-
ne Rehabilitierung von Menschen ein, die sich bei Humanexperimenten im KZ
Dachau schwer strafbar gemacht hatten. Zudem stellte er im Wissen um dessen
Vergangenheit den ehemaligen KZ-Lagerarzt Kurt Plötner (1905 —1984) ein. In
seiner Heidelberger Antrittsrede vom 10. Februar 1962 kommt Heilmeyer auch
auf ihn zu sprechen: „Für die Synthese des Blutfarbstoffs bildet das Eisen den
wichtigsten Baustein. Gemeinsam mit Dr. Plötner gelang es, die äußerst geringen
Eisenkonzentrationen im Blutplasma, welches damals auch von den physiologi-
schen Chemikern als eisenfrei angesehen wurde, exakt zu bestimmen."
Er distanzierte sich in der frühen Bundesrepublik keineswegs von der NS-
Vergangenheit, auch wenn er sich im Bereinigungsverfahren als Opfer und
Widerstandskämpfer, gar als Mitglied einer Widerstandsgruppe, darstellte. In seiner
Heidelberger Antrittsrede findet sich kein Wort hierüber. Vielmehr war Heilmeyer
Teil der Elitenkontinuität. Das alte Netzwerk funktionierte auch in der frühen
Bundesrepublik bestens. Dadurch wurden durch Heilmeyer Kriegsverbrecher
geschützt und in ihrer Karriere gefördert. Heilmeyer blieb auch im Nachkriegs-
deutschland seiner politischen Haltung treu, selbst wenn er wissenschaftliche
Stellungnahmen abgab. Er ignorierte die Verdienste jüdischer Kolleginnen und
Kollegen, so dass man heute erheblichen Zweifel an seiner wissenschaftlichen
Redlichkeit haben kann.

57
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften