Metadaten

Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

Zitierlink: 
https://digi.hadw-bw.de/view/jbhadw2023/0091
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Karlheinz Stierle

Karlheinz Stierle
„Das Athen am Arno. Florenz und die Wiedergeburt der Akademie"
Sitzung der Philosophisch-historischen Klasse am 13. Oktober 2023
Die Akademie ist ein Geschenk Griechenlands an das zukünftige Europa. Sie ver-
dankt sich einer zündenden Idee Platons. Ein Gesprächskreis befreundeter Geister
sollte außerhalb der Mauern von Athen und entlastet von den Verpflichtungen der
Polis in freiem Gespräch Grundfragen des menschlichen Daseins erörtern. Ihren
Namen erhielt die Akademie nach einem dem Lokalheros Akademos gewidmeten
Hain. Das Wort Akademie erinnert noch immer an den Ort ihres Ursprungs und
damit an ihren Ursprung selbst. Seither ist die Akademie bis heute ein Ort der
Freiheit und der Urbanität des Strebens nach Wissen und Erkenntnis.
Die Akademie wurde zu einem lieu de memoire römischer Kultur. Cicero
berichtet in seinem Dialog Definibus bonorum et malorum, wie er mit Freunden im
Gedenken an Platon den Hain des Akademos besuchte und der Zauber des Orts
seinen Freund Piso gleichsam in die Gegenwart Platos versetzte. Er selbst machte
sein Landhaus in dem kleinen Ort Tusculum zum Ort einer neuen Akademie und
seiner „Tusculanischen Gespräche". Auch Horaz berichtet (Epistulae II, 2), wie er in
seiner Jugend im Gedenken an Plato den Hain des Akademos aufgesucht habe.
Das Mittelalter brachte der Akademie eine lange Nacht des Vergessens. Statt-
dessen entstand im späten Mittelalter die Universität als Ort des systematischen
Wissens und der darauf aufbauenden Lehre. Wie Athen der Gründungsort der
Platonischen Akademie war, so wurde Florenz der Ort ihrer Wiedergeburt. Ihre
Vorgeschichte führt zu den drei größten Dichtern des italienischen vierzehnten
Jahrhunderts (Trecento), die alle mit Florenz verbunden waren. Der „Limbo" in
Dantes Commedia ist, im ersten Höllenkreis, eine Art Totenakademie, in der die
edelsten Geister der antiken Welt sich zu einem endlosen Gespräch zusammen-
finden. Francesco Petrarca ist der Erste, der in seinem Brief an Lapo da Castiglion-
chio (Familiäres 12,8) an Ciceros tusculanische Akademie und an seinen Besuch im
Hain des Akademos erinnert. Petrarca schreibt seinen Brief in der Einsamkeit der
Landschaft von Vaucluse, die ihm zu einem imaginären Tusculum wird, wo ihn die
großen Geister der römischen Antike umgeben. Boccaccios Decameron ist gleich-
sam eine Erzählakademie in idyllischer Landschaft nahe Florenz. Das Geschenk
eines Codex mit den Werken Homers, die Petrarca nicht lesen konnte, veranlasste
ihn, zusammen mit Boccaccio den griechischsprachigen Calabresen Leonzio Pila-
to dem Florentiner Studio als Übersetzer Homers ins Lateinische vorzuschlagen.
Dies ist der Beginn einer Renaissance des Griechisch-Studiums, das im Florenz
des 15. Jahrhunderts die hellsten Geister anzog. Aber auch die Akademie kam dort
zu neuem Leben. Nach dem Vorbild von Ciceros Tusculanum entstand jetzt die
Accademia valdarnina des Gelehrten und Stadtkanzlers Poggio Bracciolini. Um

91
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften