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Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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III. Veranstaltungen

wie flächig Dihle das Bild des nordafrikanischen Bischofs Augustinus von Hippo
entwirft, dessen multiple Wandlungen und Brüche wir inzwischen ja viel deut-
licher sehen.27 Andererseits erscheint Augustins Willensbegriff bei ihm als Syn-
these zweier schon länger angelegten Entwicklungen, die von biblischen Texten
einerseits und Homer andererseits ausgehen und über die christlichen Autoren
und aristotelische bzw. stoische Handlungstheorien zum Willensbegriff des Au-
gustinus führen. Insofern findet sich bei Albrecht Dihle durchaus nicht nur die
antagonistische Modellierung des Verhältnisses von Antike und Christentum wie
beispielsweise in dem sehr frühen RAC-Artikel zur Demut, sondern auch der Ver-
such, die synthetischen Elemente christlicher Theologie nachzuweisen. Freilich
führt eine auf den Willensbegriff konzentrierte Darstellung der Entwicklung der
antiken Ethik natürlich eher zur Betonung der Brüche als zu einer Akzentuierung
der Kontinuitäten. Augustinus ist nicht erst für Kurt Flasch, sondern schon bei
Albrecht Dihle Ahnherr all jener späteren Denker, die - teilweise aus ganz anderen
Gründen als Augustinus - den menschlichen Willen der Vernunft entgegenset-
zen. Man hat nur den Eindruck, dass Dihle diesen Zug im Denken des Bischofs
von Hippo ungleich freundlicher beurteilt als Kurt Flasch, der bekanntlich von
einem „Nierenstein in den Nieren Alteuropas" und einer „Logik des Schreckens"
spricht.28
Neben der eher kontrastierenden Art und Weise, Antike und Christentum
einander gegenüberzustellen und in einer - wenn auch fein ziselierten - Teleologie
den Neuigkeitswert christlicher Überlegungen zu betonen, hat Dihle aber auch
die synthetischen Elemente des Verhältnisses betont. An seiner 1962 veröffent-
lichten Studie „Die goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken
und frühchristlichen Ethik" (deren Ergebnisse 1981 im RAC-Artikel zum Lemma
zusammengefasst und weitergeführt werden)29 lässt sich zeigen, dass er darüber
hinaus auch gern parallele Strukturen identifizierte, in diesem Fall eine spezifische
Differenz zwischen der Ethik des platonischen Sokrates einerseits und des in der
Feldrede beim Evangelisten Lukas (6,17-49) portraitierten Jesus andererseits zur
antiken Populärethik. Auch die Studie über die „goldene Regel" hat mithin pa-

27 Vgl. nur zur Einleitung in die reiche Forschungsliteratur: Paul van Geest, „11. Ethik," in Au-
gustin Handbuch, hg. v. Volker Henning Drecoll, Tübingen 2007, (526-539) 529-533 und
öfter (Register s.v. „Willen": 798).

28 Kurt Flasch, Logik des Schreckens. Augustinus von Hippo, Die Gnadenlehre von 397. De
diversis quaestionibus ad Simplicianum I 2, lateinisch-deutsch, übers, v. W Schäfer, hg. u.
erklärt v. Kurt Flasch, Excerpta classica 8, Mainz 32012 (Zitat ebd. 21). - Vgl. auch Christoph
Markschies, „,Providence leaves no real room to fortuna': Vom Zufall bei Augustinus," in:
Contingentia. Transformationen des Zufalls, hg. v. Hartmut Böhme, Werner Röcke und Ul-
rike C.A. Stephan, Transformationen der Antike 38, Berlin/Boston 2015, 39-50.

29 Albrecht Dihle, Die goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und früh-
christlichen Ethik, Studienhefte zur Altertumswissenschaft 7, Göttingen 1962.

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