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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Breitenstein, Mirko: Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0045
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44 | Mirko Breitenstein
Ein schlechtes und unruhiges Gewissen schließlich ist eines, das bei allem sündigen
Tun stets die Entdeckung fürchtet. Im Gegensatz zum ebenfalls unruhigen aber
guten Gewissen gibt die mala et turbata conscientia jedoch allen Anfechtungen
nach und sich selbst der Sünde hin; die Unruhe entsteht aus eben diesem Wissen
um die eigene Schuld. ³³ Aus diesem Bewusstsein heraus mag mancher gar den Weg
zurück und hin zum Heil finden – die Mehrzahl der Menschen aber, hier gibt sich
der Text illusionsfrei, werde sich aus Beschämung über das Begangene eher noch
stärker in der Sünde verstricken als sie zu fliehen. ³⁴
Eine auf den ersten Blick andere Systematisierung des Gewissens bietet Petrus
Cellensis seinen Lesern. Er unterscheidet ein Gewissen der Weltleute und eines
der Mönche, wobei er nicht von Typen, sondern von Qualitäten der conscientia
spricht. ³⁵ Neben diesen beiden benennt Petrus ein höllisches und ein himmlisches
Gewissen, vergisst jedoch nicht zu erwähnen, dass es noch weitere Formen gebe. ³⁶
Trotz dieser verschiedenen Begrifflichkeiten lassen sich hier eine Reihe von Analogien
zur Systematisierung in Petis a me feststellen. Folgt man zum Beispiel der
Beschreibung, die Petrus von der conscientia claustralis gibt, so erkennt man die
eben bereits vorgestellte conscientia bona et turbata des anonymen Traktats »Vom
Gewissen« wieder: Das Gewissen der Mönche ist eines, das beständig Anfechtungen
ausgesetzt ist und sich daher stets aufs Neue bewähren muss. ³⁷ Durch die Beichte
jedoch ist es ihnen möglich, einen Zustand zu erreichen, der als bona et tranquilla
beschrieben werden kann. ³⁸
Das Gewissen der Weltleute hingegen wird als per se schlecht beschrieben. Derartige
Vorstellungen von Exklusivität sind wohl eines der markantesten Kennzeichen
einer für das Christentum generell typischen supererogatorischen Ethik, die im
Mönchtum ihre deutlichste Ausprägung erfuhr. ³⁹ Wer in der Welt lebt, sei, so Petrus,
bereits durch diese Ortswahl und das, was er tut, auf einem Weg, der zum Verderben
33 Mala autem conscientia est, sed turbata, quae in actu peccatorum suorum deprehenditur et comprehenditur.
Nam dum pasci se voluptatibus credit, anxietatibus cedit humanis, pudoribus et confusionibus
reverberata […] Verbi gratia, appetit quis adulterium ad voluptatem, sed comprehenditur ibi ad anxietatem:
et multo major est anxietas quam voluptas ad omnem verecundiam et angustiam hominis qui
hominem et vivit, et sapit. Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 5, 8, Sp. 557 f.
34 Sed licet quidam in ipsa deprehensione convertantur ad Dominum, major tamen est numerus in ipsa
confusione permanentium in peccato, quam propter peccati confusionem exeuntium a peccato. Tractatus
de conscientia (wie Anm. 4), cap. 5, 8, Sp. 558.
35 Conscientiarum autem qualitates sic dividimus. Concientia alia est claustralium, alia saecularium.
Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 220.
36 Item alia male merentium quae appellatur infernalis, alia bene merentium quae nominatur caelestis.
Sunt et quaedam aliae […]. Petrus Cellensis, De conscientia (wie Anm. 1), S. 220.
37 Tractatus de conscientia (wie Anm. 4), cap. 3, 4, Sp. 555.
38 Vgl. hierzu unten bei Anm. 79.
39 Vgl. David Heyd, Supererogation. Its Status in Ethical Theory (Cambridge Studies in Philosophy), Cambridge
1982.
 
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