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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Breitenstein, Mirko: Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0050
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Die Verfügbarkeit der Transzendenz: Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant | 49
Es sollte nunmehr dem Einzelnen obliegen, sein Handeln, seine Äußerungen,
ja seine intimsten Gedanken zu bewerten und die entsprechenden Schlüsse zu ziehen
– hierin liegt wohl einer der wesentlichen Impulse der neuen Religiosität des
hohen Mittelalters auch für die Moderne begründet. Das erwähnte Buch des Gewissens,
über das ein jeder verfüge, wurde zum jederzeit einsehbaren Zeugnis des
eigenen Handelns und gleichzeitig der Bezogenheit des Strebens auf die absoluten
Normen der göttlichen Heilsordnung. Voraussetzung für eine solche Erkenntnis ist
jedoch die Abwendung von allen weltlichen Dingen, um sich stattdessen der Sorge
um sich selbst zu widmen (agit curam sui). ⁵⁸
»Kehre also zu deinem Herzen zurück und prüfe dich sorgfältig selbst. Bedenke,
wohin du gehst, wohin du strebst, wie du lebst, was du tust, worauf du verzichtest,
wie sehr du täglich voranschreitest, und wieviel du zurückfällst; von welchen Gedanken
du am stärksten angegriffen wirst, welche Leidenschaften dich am häufigsten
anrühren, von welchen Versuchungen du angegriffen wirst.« ⁵⁹
Als Begründung hierfür konnte die Mahnung des Apostels Paulus dienen: »Erforscht
euch selbst, ob ihr im Glauben steht; prüft euch selbst!« (2. Cor 13, 5) Bereits
für das frühe Mönchtum sind Beispiele nachweisbar, die darauf deuten, dass man
sich diesen Aufruf zu eigen gemacht hatte. ⁶⁰ Dieses »Wissen von sich selbst« ⁶¹ ist
ein grundlegender Aspekt des Gewissens. Er ist eng mit der Schriftmetaphorik verknüpft,
die das Gewissen kennzeichnet. Nicht wie De interiori als Buch, sondern
als tabula – als Schreibtafel oder Register – bezeichnet Petrus Cellensis das Gewissen.
Hier werde alles vermerkt, sodass man im Gewissen sein Leben wieder und
wieder lesen könne. ⁶² Ein solches Lesen des eigenen Lebens stellt für den Mönch
die systematische Beschäftigung mit allen Dimensionen der eigenen Person dar.
Neben das jenseitige Ziel der ewigen Seligkeit trat somit gleichsam als notwendige
Bedingung zu dessen Erreichen das diesseitige der Bewusstwerdung seiner selbst.
Das Zeugnis des Gewissens sei der Ruhm des Menschen, hatte Paulus der Gemeinde
in Korinth verkündet; es sei der Ausweis eines einfältigen und lauteren
Lebens vor Gott (nam gloria nostra haec est testimonium conscientiae nostrae
58 Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 6, 12, Sp. 513.
59 Redi ergo ad cor tuum, et diligenter discute teipsum. Considera unde venis; quo tendis; quomodo vivis;
quid agis; quid amittis; quantum quotidie proficis; vel quantum deficis: quibus cogitationibus magis
incursaris; quibus affectionibus frequentius tangeris; vel quibus tentationum maculis a maligno spiritu
acrius impugnaris. Tractatus de interiori domo (wie Anm. 5), cap. 6, 12, Sp. 513.
60 Vgl. Breitenstein, Der Traktat »Vom inneren Haus« (wie Anm. 5), S. 284 f.
61 Vgl. oben Anm. 8.
62 […] in tabulis conscientiae relegit et intelligit. Plane non inconsulte conscientiam et speculo comparaverim
et tabulis: speculo, quia in eo faciei expressae se ipsam solo intuitu oculorum interpretatur; tabulis,
quia omnes animi motus sine sono vocis in ipsis depinguntur, et quod memoria labilis oblivionis diluvio
forte amitteret tabularum beneficio etiam in tempora saecularia perpetuat. Petrus Cellensis, De conscientia
(wie Anm. 1), S. 209 f.
 
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