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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Köpf, Ulrich: Annäherung an Gott im Kloster
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0071
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70 | Ulrich Köpf
Konkrete Aussagen über den Ort der Annäherung an Gott sind in der monastischen
Literatur selten. Umso aufschlussreicher ist, was Bernhard von Clairvaux in
einer seiner Hoheliedpredigten über ein Erlebnis im persönlichen Gebet berichtet. In
diesen Predigten beschreibt er einmal bis in physiologische Einzelheiten eine Erfahrung,
die er dem biblischen Bild des heiligen Kusses zwischen Bräutigam und Braut
vergleicht. »Während die Braut über den Bräutigam redet, ist jener plötzlich anwesend.
Er entspricht ihrem Verlangen, gibt ihr einen Kuss und erfüllt in ihr das Schriftwort:
Was ihr Herz ersehnt, hast du ihr gewährt, und den Wunsch ihrer Lippen hast
du ihr nicht versagt (Ps. 20, 3). Das beweist er am Anschwellen ihrer Brüste. Der
heilige Kuss wirkt nämlich so stark, dass die Braut, sobald sie ihn empfängt, durch
ihn schwanger wird, wobei zum Beweis ihre Brüste anschwellen und gleichsam von
Milch strotzen.« Durch dieses Bild verdeutlicht er eine geläufige Erfahrung: »Wer
sich häufig um das Gebet bemüht, der hat erfahren, was ich sage. Oft treten wir mit
lauem und trockenem Herzen vor den Altar und geben uns Mühe, zu beten. Während
wir aber dabei beharren, wird plötzlich Gnade in uns gegossen, schwillt unsere Brust
an und überschwemmt eine Flut von Liebe unser Inneres, und wenn jemand es drücken
sollte, wird es nicht zögern, die Milch der empfangenen Süße auszuschütten.« ³⁹
An dieser singulären Stelle sagt Bernhard sehr präzise, wo das Ereignis stattfindet:
beim Gebet vor dem Altar, also im Chor – das heißt aber nicht bei der Messfeier, die
in Bernhards Reden über religiöse Erfahrung ohnehin nur eine ganz unbedeutende
Rolle spielt, ⁴⁰ sondern entweder im Zusammenhang mit dem Chorgebet oder beim
individuellen stillen Gebet, wie es die Benediktsregel vorsieht. ⁴¹
Bei der Pflege des geistlichen Lebens sind die Kartäuser noch in ganz anderer
Weise innovativ als die Zisterzienser. Sie sehen in ihren Klöstern von Anfang an
einzelne Zellen vor, in denen die Mönche den größten Teil ihrer Zeit verbringen.
Auch sie haben ein Gemeinschaftsleben, in dessen Mittelpunkt das divinum officium
steht. Aber einen Teil ihrer Stundengebete absolvieren sie in den Zellen. Die
Messe wird bei ihnen nur selten gelesen, weil sie ihre Aufgabe darin sehen, gemäß
Jer. 15, 17 in der Stille und Einsamkeit der Zelle ihr Leben zu verbringen. ⁴² Die Zelle
ist der Garant für andauerndes Stillschweigen. ⁴³ Je länger man sich darin aufhält,
39 Bernhard von Clairvaux, Sermones super Cantica Canticorum (wie Anm. 14), Bd. 5, sermo 9, cap. 7,
S. 140, Z. 16 –26.
40 Vgl. Ulrich Köpf, Religiöse Erfahrung in der Theologie Bernhards von Clairvaux (Beiträge zur historischen
Theologie 61), Tübingen 1980, S. 233. Diese Untersuchung ist für meine Ausführungen über
Bernhard grundlegend.
41 Regula Benedicti (wie Anm. 4), cap. 52, 4, S. 150.
42 Guigues I ᵉʳ , Coutumes de Chartreuses (wie Anm. 27), cap. 14, 5, S. 196, Z. 21–24: Raro quippe hic missa
canitur, quoniam precipue studium et propositum nostrum est, silentio et solitudini celle vacare, iuxta
illud iheremiae, Sedebit solitarius, et tacebit.
43 Guigues I ᵉʳ , Coutumes de Chartreuses (wie Anm. 27), cap. 7, 2, S. 176, Z. 4.
 
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