Geistliche Gemeinschaften in der Welt | 151
normativen Regeltexten für Männer und Frauen, von denen Hedwig Röckelein je
zwei für Männer und für Frauen einander vergleichend gegenüberstellt, bis hin zu
den pastoralen Handbüchern und paränetischen Traktakten des Hoch- und Spätmittelalters
nicht nur die Notwendigkeit der Ortsgebundenheit bzw. Klausur, sondern
auch jene des Maßhaltens bei der individuellen Askese betont. Denn wenn
die asketische Leistung übertrieben wird, der Selbsterhebung dient und dadurch
Hochmut begründet, verkehrt sich die Tugend in das Laster der superbia. Bereits
Johannes Cassian begründete hochmütiges Verhalten mit der Absonderung des
Einzelnen von der monastischen Gemeinschaft. ¹⁸
Auch die Bandbreite der geistlichen Lebensstationen eines Richard war wohl
eher Ausnahme als Regel. Nichtsdestoweniger verweist die Legitimation durch die
»virtuose«, also elitäre, imitatio Christi auf die Möglichkeit eines letztlich egalitären
Überschreitens jeglicher ordo-Zuschreibung – d.h. auf einen wesentlichen Aspekt
christlichen Reformdenkens in seiner Hinwendung zur Welt –, die ja in zahlreichen
zeitgenössischen Reformdebatten in jeder Hinsicht standesübergreifend konzipiert
wurde. ¹⁹
Doch inwieweit sind solche Vorstellungen repräsentativ und für langfristig erfolgreiche
Lebensformen maßgeblich? Während Steven Vanderputten spirituelle
virtuosi, exzellente Vertreter innerhalb von geistlichen Eliten fokussiert, lenkt Hedwig
Röckelein den Blick auf die Ebene darunter, selbst wenn die Überlieferung auch
hier zumindest bis ins 13. Jahrhundert ebenfalls mehrheitlich Angehörige von Eliten
sichtbar macht. Bei ihrer Diskussion von Regeln und reformorientierten Lebensmodellen
im Vergleich zwischen Mönchen und Nonnen hebt sie dabei zu Recht hervor,
dass in den mittelalterlichen Klosterregeln nicht nur die Vorschriften für weibliche
Religiosen in Hinblick auf stabilitas loci und Klausur durchgehend deutlich
strenger waren, sondern in Reformkonventen auch mit dem Selbstverständnis der
Sanktimonialen als Gemeinschaft von Inklusen, mehr noch als mulieres bzw. sorores
incarceratae korrespondierten. Maßgeblich sind die programmatischen Begründungen
in den Reformtexten, die allerdings von jenen der normativen Vorgaben der
Regeln oft abweichen: Hier, so argumentiert Röckelein, ist weniger von weiblicher
Schwäche als solcher, von Schutzbedürftigkeit oder von Gefährdung der Keusch-
18 Johannes Cassian, De institutis coenobiorum. De incarnatione contra nestorium, hg. von Micheal Petschening/Gottfried
Kreuz (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 17), Wien 2004, hier lib.
XII, cap. 30, S. 228f. Vgl. Conrad Leyser, Author ity and Asceticism from Augustine to Gregory the
Great, Oxford 2000.
19 Alfred Haverkamp, Neue Formen von Bindung und Ausgrenzung. Konzepte und Gestaltungen von
Gemeinschaften an der Wende zum 12. Jahrhundert, in: Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit
Heinrichs IV und Heinrichs V, hg. von Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter, Darmstadt 2007,
S. 85 –122; Weinfurter, Innovation (wie Anm. 8), S. 303 f.
normativen Regeltexten für Männer und Frauen, von denen Hedwig Röckelein je
zwei für Männer und für Frauen einander vergleichend gegenüberstellt, bis hin zu
den pastoralen Handbüchern und paränetischen Traktakten des Hoch- und Spätmittelalters
nicht nur die Notwendigkeit der Ortsgebundenheit bzw. Klausur, sondern
auch jene des Maßhaltens bei der individuellen Askese betont. Denn wenn
die asketische Leistung übertrieben wird, der Selbsterhebung dient und dadurch
Hochmut begründet, verkehrt sich die Tugend in das Laster der superbia. Bereits
Johannes Cassian begründete hochmütiges Verhalten mit der Absonderung des
Einzelnen von der monastischen Gemeinschaft. ¹⁸
Auch die Bandbreite der geistlichen Lebensstationen eines Richard war wohl
eher Ausnahme als Regel. Nichtsdestoweniger verweist die Legitimation durch die
»virtuose«, also elitäre, imitatio Christi auf die Möglichkeit eines letztlich egalitären
Überschreitens jeglicher ordo-Zuschreibung – d.h. auf einen wesentlichen Aspekt
christlichen Reformdenkens in seiner Hinwendung zur Welt –, die ja in zahlreichen
zeitgenössischen Reformdebatten in jeder Hinsicht standesübergreifend konzipiert
wurde. ¹⁹
Doch inwieweit sind solche Vorstellungen repräsentativ und für langfristig erfolgreiche
Lebensformen maßgeblich? Während Steven Vanderputten spirituelle
virtuosi, exzellente Vertreter innerhalb von geistlichen Eliten fokussiert, lenkt Hedwig
Röckelein den Blick auf die Ebene darunter, selbst wenn die Überlieferung auch
hier zumindest bis ins 13. Jahrhundert ebenfalls mehrheitlich Angehörige von Eliten
sichtbar macht. Bei ihrer Diskussion von Regeln und reformorientierten Lebensmodellen
im Vergleich zwischen Mönchen und Nonnen hebt sie dabei zu Recht hervor,
dass in den mittelalterlichen Klosterregeln nicht nur die Vorschriften für weibliche
Religiosen in Hinblick auf stabilitas loci und Klausur durchgehend deutlich
strenger waren, sondern in Reformkonventen auch mit dem Selbstverständnis der
Sanktimonialen als Gemeinschaft von Inklusen, mehr noch als mulieres bzw. sorores
incarceratae korrespondierten. Maßgeblich sind die programmatischen Begründungen
in den Reformtexten, die allerdings von jenen der normativen Vorgaben der
Regeln oft abweichen: Hier, so argumentiert Röckelein, ist weniger von weiblicher
Schwäche als solcher, von Schutzbedürftigkeit oder von Gefährdung der Keusch-
18 Johannes Cassian, De institutis coenobiorum. De incarnatione contra nestorium, hg. von Micheal Petschening/Gottfried
Kreuz (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 17), Wien 2004, hier lib.
XII, cap. 30, S. 228f. Vgl. Conrad Leyser, Author ity and Asceticism from Augustine to Gregory the
Great, Oxford 2000.
19 Alfred Haverkamp, Neue Formen von Bindung und Ausgrenzung. Konzepte und Gestaltungen von
Gemeinschaften an der Wende zum 12. Jahrhundert, in: Salisches Kaisertum und neues Europa. Die Zeit
Heinrichs IV und Heinrichs V, hg. von Bernd Schneidmüller/Stefan Weinfurter, Darmstadt 2007,
S. 85 –122; Weinfurter, Innovation (wie Anm. 8), S. 303 f.