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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0260
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Pragmatische Visionäre? | 259
sollen. Ein Mönch kann curialis sein und dennoch ein apostolisches Leben (vita
apostilica) führen. Der bereits erwähnte Gerber ist ein Beispiel für eine nicht-adlige,
arme und ungebildete Person, die dennoch curialitas besitzt und ein frommes
Leben führt. Salimbene hat diese Umwertung des Begriffs nicht »erfunden« oder
erstmals verwendet. ²⁹ Die Anfänge der Beschäftigung des Klerus mit dem rechten
Verhalten des Fürsten und den Kategorien höfischen Verhaltens reichen bis ins
frühe Mittelalter zurück. ³⁰ Noch im späten Mittelalter blühte die literarische Gattung
des Fürstenspiegels, in denen noble Zurückhaltung und höfisches Benehmen
zentrale Begriffe tugendhaften Verhaltens blieben. ³¹ Zudem ist auch bei Franziskus
selbst und der ersten Generation der Franziskaner der Einfluss höfischer Dichtung
feststellbar. ³² Salimbene hat den Begriff in seiner Chronik also nicht erstmals
verwendet, er hat ihn allerdings besonders umfassend für seine Beschreibung der
Gesellschaft des 13. Jahrhunderts eingesetzt. ³³
Tugendhaftes Handeln und Leben ist aus dieser Perspektive nicht mehr dem
Adel vorbehalten, sondern hat sich demokratisiert und auf alle sozialen Schichten
ausgebreitet. ³⁴ Curialiter handelt, wer einen Gast freundlich willkommen heißt
und bei sich aufnimmt. Von seinen eigenen Reisen wusste Salimbene um den Wert
der Gastfreundschaft. Im Minoritenkonvent konnte diese Form der Höflichkeit
aus seiner eigenen Erfahrung so weit gehen, dass ein Mönch einem ankommenden
Bruder die Füße wusch und mit ausgewählten Getränken und Speisen versorgte. In
29 Ganz, curialis/hövesch (wie Anm. 27), S. 50 –55; Tony Hunt, »Monachus curialis«. Gautier de Coinci
and Courtoisie, in: Courtly Literature and Clerical Culture. Höfische Literatur und Klerikerkultur. Littérature
courtoise et culture cléricale, hg. von Christoph Huber/Henrike Lähnemann (Selected papers
from the tenth triennial congress of the International Courtly Literature Society 10), Tübingen 2002,
S. 121–135.
30 Wilhelm Berges, Die Fürstenspiegel des Hohen und Späten Mittelalters (Schriften des Reichsinstituts für
Ältere Deutsche Geschichtskunde 2), Leipzig 1938.
31 Rosalind Brown-Grant, Mirroring the Court: Clerkly Advice to Noble Men and Women in the Works
of Philippe de Mézières and Christine de Pizan, in: Courtly Literature and Clerical Culture. Höfische Literatur
und Klerikerkultur. Littérature courtoise et culture cléricale, hg. von Christoph Huber/Henrike
Lähnemann (Selected papers from the tenth triennial congress of the International Courtly Literature
Society 10), Tübingen 2002, S. 39 – 56.
32 Lise Battais, La courtoisie de François d’Assise. Influence de la littérature épique et courtoise sur la première
generation franciscaine, in: Mélanges de l’Ecole française de Rome. Moyen-Age, Temps modernes
109, 1997, S. 131–160.
33 Zur parallel fortbestehenden klerikalen Hofkritik und zur Unvereinbarkeit von vita apostolica und vita
curialis im hohen und späten Mittelalter Klaus Schreiner, Hof (curia) und höfische Lebensführung
(vita curialis) als Herausforderung an die Theologie und Frömmigkeit, in: Höfische Literatur, Hofgesellschaft,
Höfische Lebensformen um 1200, hg. von Gert Kaiser/Jan-Dirk Müller (Studia humaniora 6),
Düsseldorf 1986, S. 67–138, hier S. 90 –98. Zur Verwendung des Begriffs für »a certain type of familiaris
regis« Ralph V. Turner, Toward a definition of the Curialis: Educated court cleric, courtier, administrator,
or »new man«?, in: Medieval prosopography 15, 1994, S. 3 –33.
34 Zu curialis und curialitas als »internationale Modewörter« im 12. Jahrhundert Ganz, curialis/hövesch
(wie Anm. 27), S. 55. Zum breiteren Raum des Begriffsfeldes in der »religiösen Bildsprache des 13. Jahrhunderts«
Schreiner, Hof (wie Anm. 33), S. 130.
 
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