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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0261
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260 | Thomas Ertl
semantischer Verknüpfung mit dem Wort caritas wird die curialitas ganz allgemein
zur Nächstenliebe und zur Hilfsbereitschaft. Wer curialis ist, hilft den Armen und
Schwachen, tut seinen Mitmenschen Gutes, erhört die Bitten seiner Untergebenen
und stellt seine besondere Begabung in den Dienst der Allgemeinheit. Stets ist eine
solche Person höflich und freundlich gegenüber anderen Menschen, gleich welchen
Rang sie bekleiden. Die Tugend der curialitas ist zudem eng verknüpft mit der liberalitas,
der Freigebigkeit, der urbanitas, der städtisch-feinen Lebensform, ³⁵ sowie
der – bereits genannten – caritas, der Nächstenliebe. ³⁶ Bemerkenswert sind auch die
gegensätzlichen Begriffe, mit denen Personen oder Gruppen beschrieben werden,
welche die oben genannten positiven Eigenschaften nicht besitzen. Es sind dies
vor allem die rusticitas, das ungehobelte Benehmen, sowie die avaritia, der Geiz,
Hauptlaster der theologischen Sündenlehren des späten Mittelalters. ³⁷
Das semantische Feld der curialitas liefert m. E. deutliche Hinweise darauf, wie
sich Salimbene erstens eine tugendhafte und fromme Christenheit vorstellte und
zweitens wie sich die Realität zu diesem Ideal seiner Meinung nach verhielt. ³⁸ Zum
Ideal: Salimbene übertrug die ursprünglich exklusiv dem Adel zugeschriebene ritterlich-höfische
Tugend der curialitas auf die städtische Gesellschaft Norditaliens
und Südfrankreichs. Wenn in der Vergangenheit das tugendhafte und gesittete Verhalten
dem Adel vorbehalten war, so hatten die Bürger dieser stark urbanisierten
Regionen daran nun ebenfalls Anteil. Ehemals aristokratische Werte haben sich in
den Städten ausgebreitet bzw. demokratisiert. Zur städtischen Sozial-, Rechts- und
Wertegemeinde gehörten im 13. Jahrhundert auch die säkularen Kleriker sowie die
35 Zu diesem Zusammenhang vgl. Ganz, curialis/hövesch (wie Anm. 27), S. 52; Thomas Zotz, Urbanitas.
Zur Bedeutung und Funktion einer antiken Wertvorstellung innerhalb der höfischen Kultur des hohen
Mittelalters, in: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, hg. von Josef Fleckenstein
(Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 100), Göttingen 1991, S. 392–
451, hier S. 409 – 435. Zur Ausweitung des Gebrauchs von urbanus/urbanitas auf nichtadelige Personen
seit dem 13. Jahrhundert vgl. ebd., S. 436 – 447. Zum Fehlen einer »spezifisch städtischen Konnotation«
ebd., S. 443 f.
36 Zu diesem Zusammenhang heißt es in den Fioretti di S. Francesco (I Fioretti di San Francesco, hg. von
Giovanni Getto, Milano 1946), cap. 37, S. 119: Sappi, frate carissimo, che la cortesia è una delle proprietà
di Dio, il quale dà il sole a la sua piove a giusti e agli ingiusti, per cortesia, ed è la cortesia sirocchia
della carità, la cuale spegne l’odio e conserva l’amore. Zur caritas in der franziskanischen Tugendlehre
vgl. Krijn Pansters, Franciscan Virtue. Spiritual Growth and the Virtues in Franciscan Literature and
Instruction of the Thirteenth Century (Studies in the History of Christian Traditions 161), Leiden 2012,
S. 45 – 68.
37 Richard Gordan Newhauser, Avaritia und Paupertas. Zur Stellung der frühen Franziskaner in der Geschichte
der Habsucht, in: Ders., Sin: Essays on the moral tradition in the Western Middle Ages, Aldershot
2007, Teil X, S. 31– 49. Zur avaritia als Todsünde Morton W. Bloomfield, The seven deadly
sins. An introduction to the history of a religious concept, with special reference to medieval English
literature (Studies in language and literature), East Lansing 1967, S. 203 –243.
38 Zur franziskanischen Vorstellung von Tugend (virtus) im 13. Jahrhundert vgl. Pansters, Franciscan
Virtue (wie Anm. 36).
 
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