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Innovationen durch Deuten und Gestalten: Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt — Klöster als Innovationslabore, Band 1: Regensburg: Schnell + Steiner, 2014

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Ertl, Thomas: Pragmatische Visionäre? Die mendikantische Sicht der Welt im 13. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.31468#0262
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Pragmatische Visionäre? | 261
Mitglieder der Bettelorden, die durch einen beginnenden Prozess der »Verbürgerlichung«
in die städtische Gesellschaft integriert wurden und sich so der Stellung der
weltlichen Mitglieder der Bürgergemeinschaft annäherten. ³⁹ Eine Art »Prozess der
Zivilisation« erfasste die städtische Bürgerschaft und mit ihr die urbane Geistlichkeit,
als sich höfische Tugenden und Praktiken zum allgemeinen bürgerlichen Wertesystem
entwickelten. Ergänzt wurde der Verhaltenskatalog der curialitas durch
Tugenden, die einerseits eine lange theologische Tradition hatten wie die caritas
oder in spätmittelalterlichen Diskursen über soziale Fragen einen neuen Stellenwert
erlangten wie die liberalitas. Diesem modernen Denken im 13. Jahrhundert
entsprach auch die Verwendung von rusticitas und avaritia als Hauptlaster. In der
Idealgesellschaft, wie sie Salimbene vorschwebte, war dieser Tugendkatalog zur allgemeinen
Richtschnur christlichen Verhaltens geworden. Erreichbar war dieses Ziel
freilich nur, wenn die Mendikanten von den Päpsten und Bischöfen privilegiert und
beschirmt voranschritten und der Christenheit den Weg wiesen – allen voran die
Franziskaner.
Die Realität war jedoch weit vom Ideal entfernt. Das blieb Salimbene nicht
verborgen. Dennoch wurde seine Sicht der Gesellschaft nicht von negativen oder
pessimistischen Tönen beherrscht. Daran kann auch seine Rezeption der eschatologischen
Visionen des Joachim von Fiore nichts ändern. ⁴⁰ Salimbene stammte aus
einer wohlhabenden italienischen Bürgersfamilie, die er durch seinen Ordenseintritt
zwar verlassen hat, ihr aber Zeit seines Lebens verbunden blieb. Er war so
stolz auf einzelne Mitglieder seiner Familie und ihre Taten, dass er in seinem Geschichtswerk
ausführlich von ihnen berichtete. ⁴¹ Weder in diesem noch in anderen
Zusammenhängen distanziert sich Salimbene von der urbanen, dem Leben und dem
Profit zugewandten Lebensform seiner Mitmenschen. Das Leben in der geschäftigen
Großstadt, aus der Franziskus geflüchtet war, bleibt bei Salimbene die selbstverständliche
Norm menschlichen Zusammenlebens ⁴² und natürlich Tätigkeitsfeld
39 Bernd Moeller, Kleriker als Bürger, in: Ders., Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische
Aufsätze, hg. von Johannes Schilling, Göttingen 1991, S. 35 –52, hier S. 37– 44.
40 Delno C. West, Jr., The reformed church and the Friars Minor. The moderate Joachite position of Fra
Salimbene, in: Archivum franciscanum historicum 64, 1971, S. 273 –284; Ludovico Gatto, Il gioachimismo
nella testimonianza salimbeniana, in: ders., Dalla parte di Salimbene. Raccolta di ricerche sulla
Cronaca e i suoi personaggi (Medioevo 13), Roma 2006, S. 615 – 652; Williams Lewin, Salimbene (wie
Anm. 13), S. 91–100.
41 Olivier Guyotjeannin, Lignage et mémoire généalogique en Emilie au XIII ᵉ siècle: L’exemple de Salimbene
de Adam, in: Media in Francia. Recueil de mélanges offert à Karl Ferdinand Werner à l’occasion
de son 65e anniversaire par ses amis et collègues français, Maulévrier 1989, S. 225 –241. Zu Salimbenes
positiver Haltung gegenüber der Herkunft seiner Ordensbrüder »aus gutem Hause« vgl. James Matthew
Powell, Mendicants, the communes, and the law, in: Church History 77/3, 2008, S. 557– 573, hier S. 569.
42 Ludovico Gatto, Il sentimento cittadino nella Cronaca di Salimbene, in: ders., Dalla parte di Salimbene.
Raccolta di ricerche sulla Cronaca e i suoi personaggi (Medioevo 13), Roma 2006, S. 151–170; Maria
 
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